Montag, 20. April 2009

Vor dem Mauerfall: Wie der Kreml die DDR aufgab

... so lautet der "leicht" reißerische Titel eines Artikels von Stefan Büttner und Martin Ebert, veröffentlicht in der Fliegerrevue eXtra Nr. 24, April 2009.

Brisant an der darin vertretenen These, die UdSSR habe bereits Ende 1988 beschlossen, die DDR militärisch preiszugeben, ist die logische Konsequenz: Die BRD, vertreten durch die Kohl-Regierung, wäre ein kompletter Volldepp gewesen, da sie Milliarden für etwas bezahlte, was sie auch umsonst bekommen hätte: den Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland (und letztlich die DDR).

Dummerweise können die Autoren kein einzigen Beleg für die entsprechende politische Entscheidung der UdSSR vorlegen. Einzig ein Falin - Zitat muß zur Untermauerung herhalten. Falin kommentiert darin die einseitigen Abrüstungsmaßnahmen der UdSSR, welche auf der 43. UN - Vollversammlung am 7. Dezember 1988 in einer Gorbatschow - Rede verkündet wurden. Die Rede "bedeutete in allgemeinverständlichen Worten, dass die UdSSR beabsichtige, sich aus Mittel- und Osteuropa zurückzuziehen." Leider verzichteten die Autoren auf eine Quellennennung und Datierung dieser Aussage, es heißt nur: "Wenig später kommentierte ...." Es entzieht sich meiner Kenntnis, was die Autoren unter "wenig später" verstehen, befürchte jedoch, daß es sich um eine nachträgliche (Um-) Interpretation der Rede durch Falin nach Zusammenbruch der UdSSR handelt [Fn].

Diesen Mangel sind die Autoren sich offenbar bewußt, denn sie schieben unmittelbar eine "Information" nach, indem mit wenigen Worten ein MfS-Mitarbeiter Mitte 1989 mitteilt, von einem Truppenabzug bis 1995 gehört zu haben. "Die Echtheit wird ... von der BStU bestätigt." :-D

Im weiteren wird versucht, die o.g. These mittels empirischen Angaben zu belegen. Dabei werden die Umstrukturierungsmaßnahmen der GSSD / WGT dahingehend untersucht, ob und inwieweit diese ggf. über die angekündigten Abrüstungsmaßnahmen hinausgingen.

EXKURS
a) Gorbatschow (aber faktisch schon Andropow) wichen ideologisch von Kommunismus und Klassenkampf ab und vertraten verdeckt eine sozialdemokratische Linie. Offen erkennbar in der Formulierung: "Gemeinsame Menschheitsinteressen".
b) Zur Verringerung der Blockkonfrontation, aber vor allem aus ökonomischen Gründen, wurde die Militärdoktrin ab 1987 auf passive und statische Verteidigung, mit zum Teil skurrilen Folgen, umgestellt. So sollte die DDR auf Weisung der UdSSR einen Grenzstreifen entvölkern (ich meinte von "50 km", andere von "15 km" gehört zu haben). Egal wie breit dieser entvölkerte Grenzstreifen konkret hätte werden sollen, in Mitteleuropa allgemein und in Lichte der Republikflucht-Hetze der BRD wäre das für die DDR der Super-Gau gewesen. Sie verweigerte wohl erstmalig in ihrer Geschichte insoweit den Gehorsam und verkündete den "Sozialismus in den Farben der DDR".
c) Mit Umstellung der Militärdoktrin, der die DDR ansonsten naheliegend folgen mußte, waren eine größere Anzahl von Truppen nicht mehr nötig. Ebenfalls waren andere Truppen nötig. Folge: Teilabzug und Umstrukturierungen, groß und erfolgreich als "Abrüstungsmaßnahmen" verkauft.
d) Die
Fährlinie Mukran <-> Klaipeda nimmt 1986 zur Versorgung der GSSD ihren Betrieb auf und wird mit Hochdruck weiter ausgebaut. Im Sommer 1989 schert Polen aus dem "Ostblock" faktisch aus. Die militärische Verteidigung der DDR wurde damit -vor allem im Lichte der neuen, statischen Militärdoktrin - mehr als schwierig.
e) Falin äußerte sich in den 1990ern mehrmals dahingehend, daß seit 1987 bei BRD -Vertretern hinsichtlich einer "Frontbegradigung" vorgefühlt wurde.
f) Die Sowjetunion läßt ihre Verbündeten 1988/89 in Afghanistan im Stich, die sich dennoch rd. 3 weitere Jahre halten können.

Die empirischen Betrachtungen im Artikel, mit Schwerpunkt "16. Luftarmee", erklären zum Teil das Erscheinen dieses politischen Artikels in einer Fliegerzeitung, der andere Teil der Erklärung liegt wohl in der Verbundenheit von Stefan Büttner mit dieser Zeitschrift. Nach meiner Auffassung gelingt - trotz 26 großformatiger Seiten - der empirische Beleg der These nicht.

Putzig manchmal die Sprache. So wird den SpezNatz-Einheiten ein "offensiver Auftrag" für folgendes unterstellt: "Die Ziele der SpezNaz-Einheiten stellten damals vor allem die taktischen Nuklearwaffen der NATO dar, welche spätestens beim Beziehen der Feuerstellungen ausgeschaltet werden sollten." Also, daß militärische Ausschalten von atomaren Feuerstellungen zu Kriegsbeginn, um so wenigstens einige der rd. 200 von der NATO geplanten Kernwaffenschläge allein auf das bestimmt nicht große Territorium der DDR zu verhindern, ist ein "offensiver Auftrag". Das ist nahe am "Neusprech". Das "Verschwinden" der SpezNatz - Einheiten mit Ende der DDR halte ich für sehr nachvollziehbar.

Ich kann hier nicht die angeführten Maßnahmen einzeln bewerten, aber letztlich sprechen die akribisch zusammengetragenen Veränderungen in der WGT m.E. eher gegen die These eines bereits 1988 begonnenen und bis 1995 geplanten vollständigen Abzugs der sowjetischen Truppen. So wird mir nicht ganz nachvollziehbar der ersatzlose Abzug der veralteten Maschinen vom Typ Jak-28PP aus Werneuchen und der Verbleib von lediglich zwölf Su-24MP angeführt. Zweifellos werden bei einer eher defensiv ausgerichteten Verteidigung weniger Funkstörer (und Aufklärer) in Frontnähe als bei einer offensiveren Verteidigung i.S. der vorangegangenen Militärdoktrin benötigt. Zumal auch die Autoren wohl nicht ausschließen können, daß die damals modernen Su-24MP als ausreichend erachtet wurden bzw. später weitere zugeführt werden sollten.

Insbesondere die massive Zuführung des Luftüberlegenheitsjägers MiG-29 führt mich zur gegenteiligen Annahme: Die Umstrukturierungen der WGT im Jahre 1989 dienten lediglich der Umsetzung der einseitigen Abrüstungsmaßnahmen bzw. der neuen Militärdoktrin.

Wenn ich einen vollständigen Abzug plane, würde ich modernes Gerät nur zur Täuschung zuführen. Da aber der Abzug aber lt. Falin mit o.g. Gorbatschow-Rede angekündigt war, wer sollte da noch getäuscht werden? Falin deutet es in dem weiterführenden Zitat vielleicht auch an: Die eigenen Verbündeten .... das spräche tatsächlich für die These .... dann müßten sich Belege für einen bereits Ende 1988 begonnen Abzug der sowjetischen Truppen aus andern verbündeten Staaten Europas finden.

Vor allem bräuchten die Autoren aber ein zeitgenössisches Dokument der politischen und militärischen Führung der UdSSR, welches ihre Aussage stützt. Eine schwere Hürde, ich weiß, aber wer die Bundesregierung de facto bezichtigt als Volldeppen gehandelt zu haben, muß schon mit mehr kommen. Bis dahin, ist dieser Artikel nicht mehr aber auch nicht weniger als ein Dokument über die WGT zur Wendezeit, mit besonderem Schwerpunkt "16. Luftarmee" und darüber, daß die UdSSR es mit ihren einseitigen Abrüstungsmaßnahmen ernst gemeint hat - dafür: Danke!

update
Bei einer Diskussion sollte versucht werden, sich möglichst auf Definitionen zu einigen bzw. vorhandene zu verwenden, das betrifft z.B. die Begriffe "Hypothese", "These", Theorie" oder "Meinung". Bei der "Meinung" sollte jedoch der Volksmund beachtet werden, der meint: "Meinungen sind wie Ar*chlöcher, jeder hat eins."
Im Konkreten wäre - wie ich oben schon schrieb - der Artikel sehr gut geworden, wenn sein Thema "Die WGT zur Wendezeit, mit besonderem Schwerpunkt »16. Luftarmee«" gewesen wäre. Auch ein etwas reißerischer Titel, wie "Die Russen zur Wende", wäre erträglich gewesen. Gegen ein kleinen "Schuß" Verschwörungstheorie hätte wohl auch niemand etwas gehabt. Das Ganze jedoch als absolute Wahrheit - im wahrsten Sinne des Wortes - zu verkaufen, das hat was.
Andererseits hat der Artikel kaum Widerhall gefunden, auf die Schnelle reicht zum Beleg sogar eine Google-Suche: aktuell 9 verschiedene Treffer, wovon die meisten lediglich auf den Artikel hinweisen ... dieses "Schweigen" hat m.E. Gründe, mehr zu dieser meiner Verschwörungstheorie nur "beim Bier" ;-)
update (21. April 2009)
Dank eines Hinweises von "Cold War" ist nun naheliegend, wo die Autoren das Zitat herhaben. Logo, Internet:
[Fn] "Ich will mich auch nicht in Vermutungen darüber ergehen, in welchem Maße die düsteren Prognosen, die nicht auf die DDR allein beschränkt waren und sicherlich nicht nur von mir kamen, zur Entstehung der »Gorbatschow-Doktrin« beigetragen haben, die in einer Rede vor den Vereinten Nationen dargelegt wurde. Sie bedeutete in allgemeinverständlichen Worten, daß die UdSSR beabsichtige, sich aus Mittel- und Osteuropa zurückzuziehen."
Das Zitat stammt ursprünglich aus: "Konflikte im Kreml" von Valentin Falin und die deutschsprachige Ausgabe ist von 1997! Wann Falin das Script schrub und damit seine Interpretation darlegte, weiß ich leider immer noch nicht, aber nach dem Zusammenbruch der UdSSR war es mit Sicherheit. Leider gilt wohl auch für die Autoren: »Was nicht paßt, wird passend gemacht!«

Vorsorglich: Natürlich "dürfen" Internetquellen verwendet werden, nur sollten diese auch dazu genannt werden. Allerdings wäre dann für jeden sofort erkennbar gewesen, daß die Kommentierung Falins nicht "wenig später", sondern viele Jahre später, ex post erfolgt. Und das ist für den Argumentationsstrang der Autoren wesentlich! Hier findet sich die Rede im Wortlaut:
http://www.2plus4.de/chronik.php3?date_value=07.12.88&sort=000-004

Übrigens, wer etwas behauptet, wie 'die UdSSR habe bereits Ende 1988 beschlossen, die DDR militärisch preiszugeben', muß das belegen. Die Tatsache, daß inzwischen "jeder" Herrn Gorbatschow "alles" zutraut reicht dafür nicht. Als Widerpart reicht es jedoch, die Behauptungen zu erschüttern. Dafür brauche ich nicht in Archive, hier reicht bloße Logik aus.

3 Kommentare:

  1. Jak-28PP ist kein Aufklärer sondern ein Störflugzeug für den FEK.

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  2. [Jak-28PP]Nun ja, die "PP" war die letzte Jak-28 Version. Einige der Jak-28R (Aufklärerversion) wurden mit dem Komplex REB ausgerüstet und flogen dann als "PP". Dann gab es auch noch die "RR" ... offenbar habe ich mich nur unglücklich ausgedrückt. Ich werde den Klammerausduck "wechseln",

    Danke

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  3. Nun ja, für den Hinweis das es sich bei den Jak-28PP um umgerüstete Jak-28R handeln soll fehlt jede Beweislast. Im Artikel steht zur Jak-28 einiges geschrieben.

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