Die Tage überraschten uns die investigativen und unabhängigen Mainstream-Medien mit der Schlagzeile: »Wechsel von West nach Ost "ein deutsch-deutsches Tabuthema"«
Der
Standard schrieb beispielsweise: »Rund 500.000 Westdeutsche sind zwischen der Staatsgründung 1949 und dem Mauerfall 1989 in die DDR übersiedelt. Dies fand der Historiker Bernd Stöver von der Universität Potsdam nach rund siebenjähriger Forschungsarbeit unter anderem in bisher verschlossenen Geheimdienstarchiven heraus. Der Wechsel von West nach Ost sei bis heute "ein deutsch-deutsches Tabuthema", sagte Stöver bei der Präsentation seiner Forschungsarbeit in Düsseldorf.«
Also, ich mag ja Stöver, aber ....
... mein DDR-Handbuch: Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland, S. 1.
Digitale Bibliothek, Band 32: Enzyklopädie der DDR, S. 6474 und S. 6478 (vgl. DDR-HB, S. 1367-1368) © Bundesministerium des Innern] sagte bereits spätestens in
2003, daß es 500.000 gewesen seien und daß es tatsächlich ca. 550.000 waren, steht dort ebenfalls: "Nach einer 1965 in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlichten amtlichen Statistik sollen von 1950 bis 1964 503.361 Personen in die DDR übergesiedelt sein. In der folgenden Statistik der Jahre 1964-1981 sind die Fortzüge aus dem gesamten Bundesgebiet einschließlich Berlin (West) in die DDR einschließlich Berlin (Ost) enthalten:" 41.840.
Summe:
545.201 + unbekannte Anzahl aus 1949 und 1982-1989 Westflüchtlinge. Also nix neues und nichts geheimes.
Weiter schreibt der "Österreichische Spiegel": »Nach Stövers Erkenntnissen waren zwei Drittel der Westdeutschen, die Richtung Osten übersiedelten, Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Die meisten von ihnen seien Handwerker oder Arbeiter gewesen.«
Nach dem Handbuch seien es aber überwiegend "Heimkehrer" gewesen, also Leute die die DDR verlassen hatten und im "Goldenen Westen" nicht klar kamen. Das paßt auch zu den "36 Prozent der Fahnenflüchtigen" der NVA, die bis in die 60er trotz Stafandrohung wieder zurückkahmen. Ääähhhm, anfangs spielten auch Wehrdienstflüchtige aus dem Westen eine nicht unbeachtliche Rolle, daher IMHO auch "zwei Drittel der Wessis, ..., Männer im Alter zwischen 15 und 25 Jahren." Ich hoffe, die fielen nicht unter den Gesamtdeutschen Tisch, vgl.:
http://home.snafu.de/veith/deserteu.htmWeiter in der Gazette: »Allerdings ermittelte der Wissenschaftler zwischen 1950 und 1990 auch mehr als 5,2 Millionen "Zuzüge" aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland.«
Das ist noch doller! Ich wette, daß der Zeitraum 8. Mai 1945 - 03.10.1990 gemeint ist .... Mein Kenntnisstand: »Auf dem Territorium der späteren DDR lebten 1939 insg. 16,7 Millionen Menschen. Infolge der Kriegs- und Nachkriegswirren stieg ihre Zahl auf ca. 18,4 Millionen an. Von der Gründung der DDR im Oktober 1949 bis zur Grenzöffnung am 9. November 1989 verließen ... insg. 3 Millionen Menschen ... ihren Staat, davon viele illegal. Im Jahr 1980 lebten wieder 16,7 Millionen Menschen in diesem Gebiet. Aufgrund der rd. 550.000 Übersiedler aus der BRD in die DDR, hatte diese einen Wanderungsverlust von 2,5 Mio. Menschen im Saldo und innerhalb von 40 Jahren zu verzeichnen.«
Übrigens, auch von der Uni Potsdam: »"Von den 12 Millionen Deutschen, die bis zum Jahr 1950 als Flüchtlinge und Heimatvertriebene in das heutige deutsche Staatsgebiet gekommen sind, wurden 4 Millionen in der sowjetischen Besatzungszone aufgenommen. Bei ihrer Gründung hatte die DDR deshalb 18,4 Millionen Einwohner. Hiervon sind 2,6 Millionen [!-Veith] in den fünfziger Jahren in die Bundesrepublik übergesiedelt."
http://www.uni-potsdam.de/u/LpB/Zus.fass.%20Teil%201.pdf (offline)
Wer weiß, was die Journallie aus der
Buchvorstellung und Pressearbeit Stövers gemacht hat?!
Das ergibt sich bereits aus der Kurzbeschreibung
des beworbenen Buches bei amazon: »Die massenhafte Auswanderung von Westdeutschen in die DDR ist ein deutsch-deutsches Tabu-Thema. Bernd Stöver geht den Motiven und Schicksalen dieser Auswanderer nach und fördert dabei - meist aus bisher verschlossenen Geheimdienst-Akten - erstaunliche und spannende Geschichten zu Tage, wie sie nur die deutsche Teilung schreiben konnte. Bis zum Mauerbau 1961 sind mehr als eine halbe Million Westdeutsche in die DDR emigriert, darunter heute so bekannte wie Stefan Heym, Wolf Biermann, Robert Havemann, Ralph Giordano, Lothar Bisky oder Ronald Schernikau. Bis zum Mauerfall 1989 waren es jedes Jahr immer noch mehrere tausend Übersiedler. Bernd Stöver beschreibt erstmals, was diese Bundesbürger bewogen hat, was sie erträumt haben, wovor sie geflohen sind und wie es ihnen im Arbeiter- und Bauernstaat ergangen ist. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei prominenten Auswanderern wie dem ersten westdeutschen Verfassungsschutzchef Otto John, den Spionen Günter Guillaume und Hans Wax, Offizieren und Politikern sowie den Terroristinnen Inge Viett und Susanne Albrecht, deren abenteuerlichen West-Ost-Biographien er auf der Grundlage von bisher unbekannten Akten von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nachgeht.«
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3406591000/ddrluftwaffde-21Also, doch 500.000+X Westflüchtlinge und Stöver geht den "Motiven und Schicksalen" der Auswanderer nach ... der Rest ist "fürs Volk".
update (10.09.2009)
Hier eine Leseprobe des beschriebenen Buches:
Sie beinhaltet einen Auszug aus der Biografie von Hans Wax (Deckname „Donner") der mit
Horst Hesse (Deckname "Jürgen") 1956 die Aktion "Schlag" gegen eine Einrichtung des
MID in Westdeutschland durchführte und die im Film "
For eyes only" ihren Niederschlag fand.