Sonntag, 28. April 2013

Es muß demokratisch aussehen

Immer wieder geistert ein angebliches Zitat von Walter Ulbricht aus dem Jahr 1945 durch die Medien und Diskussionen:

»Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben!«

Naheliegend sollte zu erst geprüft werden sollte, inwieweit obiges überhaupt ein Zitat ist: "Überliefert" hat diesen Satz Wolfgang Leonhard, der sich 1949 als Dozent an der Parteihochschule sich "KPD/SED-kritisch" mit "Tito" solidarisierte und dann nach Jugoslawien "flüchtete". Im Jahr 1955 erschien der Spruch erstmals in sein Werk "Die Revolution entlässt ihre Kinder". Seine politische und sonstige Heimat fand Leonhard als "Ostexperte" im Westen.

Herr Leonhard hat naheliegend kein Schriftstück vorgelegt, nachdem der Spruch nachweislich von Ulbricht stammt. Die Möglichkeit, das der Renegat 10 Jahre später das aufgeschrieben hat, was seine neuen Geldgeber von ihm hören wollten, liegt zumindest nahe. Im Jahr 2006 durfte ich nun Leonhard bei Maischberger bewundern und da klang das irgendwie so, als ob dieser Satz nicht direkt aus dem Munde Ulbrichts geflossen sei, sondern die Zusammenfassung der damaligen Politik durch Leonhard selbst war.

Der "Witz" daran ist, da die sowjetische Besatzungsmacht unmittelbar nach Kriegsende tatsächlich gezielt mehrheitlich Nichtkommunisten in die neue deutsche Verwaltung setzte, damit die Westalliierten ihr nicht "undemokratisches Verhalten vorhalten" kann. Auf Seite 406 der Reclam-Ausgabe (Leipzig 1990) von "Die Revolution entlässt ihre Kinder" lautet der Abschnitt daher auch:

»Über Ulbrichts Direktiven wurde noch hin und her diskutiert; vor allem über die Frage, wie man plötzlich soviel Bürgerliche und nun auch noch Geistliche finden sollte. Aber etwa nach einer halben Stunde brach Ulbricht die Diskussion ab. Im klassischen Sächsisch gab er uns die letzte abschließende Direktive: "Es ist doch ganz klar: Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben."«

Daß die Siegermacht (und die wenigen Kommunisten), also "wir", alles in der Hand behalten wollte (im Frühjahr 1945!) wäre allerdings nachvollziehbar. Insoweit hätte Walter Ulbricht lediglich die Direktiven der sowjetischen Besatzungsmacht gegenüber seinen eigenen Genossen begründet.

So ist bei Victor Klemperer schön nachzulesen, daß diese Vorgehensweise für sehr viel Unmut bei den Nazi-Opfern auslöste, da zu diesem Zeitpunkt "irgendwelche" Bürgerliche und Pfaffen, die sich in den "1.000 Jahren" brav geduckt und mitgemacht hatten, den überlebenden Kommunisten und Juden beim Neuaufbau der Verwaltungen vorgezogen wurden. Mit Beginn des Kalten Krieges änderte sich das, aber bis dahin fiel bspw. Klemperer die KPD-Mitgliedschaft (seit Dezember 1945) insoweit negativ "auf die Füße".