Samstag, 3. September 2011

Es gibt kein Grundrecht auf Ausreise

Bereits am 13. Juni 2001 sprach der SPD-Genosse und Berliner Innensenator Ehrhart Körting den richtungsweisenden Satz: "Es gibt kein Grundrecht auf Ausreise". Leider gibt es nach wie vor Zeitgenossen, die anderen "frommen" Wunschvorstellungen nachhängen.

Naheliegend schaut der geneigte und interessierte Bundesbürger in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes, konkret in die Artikel 1 bis 19:

Er wird dabei wie folgt fündig: Gem. Art. 11 GG genießen lediglich Deutsche Freizügigkeit und das nur im Bundesgebiet. Selbst dieses Recht kann nach Abs. 2 dieses Artikels auf Null reduziert werden. Die Freizügigkeit über die Staatsgrenzen hinweg für jeden, wird nur aus dem "Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" (Art. 2 GG) in den Kommentaren zum GG herausgelesen und ist in die Rechtsprechung eingegangen. Eine Interpretation die sich jederzeit ändern kann. Auch dieses Recht kann, wurde und wird bereits heute nach Bedarf auf Null reduziert:

»Schon 1957 befasste sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Ausreiseverbot. Die Behörden hatten dem Adenauer-Kritiker Wilhelm Elfes die Passverlängerung verweigert, um dessen politische Aktivitäten zu behindern. Im so genannten Elfes-Urteil wird festgestellt, dass der Parlamentarische Rat die Ausreisefreiheit nicht ausdrücklich in den Grundrechtekatalog aufgenommen habe. Sie sei aber im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit grundgesetzlich geschützt« (Der Spiegel 31/2001). Allerdings blieb nicht nur Herrn Elfes Ausreisefreiheit weiter - höchstrichterlich bestätigt - "eingeschränkt".

Ein weiterer, dem Grundgesetz inzwischen übergeordneter Grundrechtekatalog findet sich in der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), konket in der Konvention Nr. 005 des westeuropäischen Europarats. In diesem findet sich jedoch nichts über "Ausreise" oder "das eigene Land verlassen" etc.

Ein Fortschritt bietet diese Konvention jedoch: seit »1998 kann – ähnlich wie bei einer nationalen Verfassungsbeschwerde – jeder Einzelne sich gegen eine Verletzung seiner Konventionsrechte unmittelbar mit einer Beschwerde an den Gerichtshof wenden (Individualbeschwerde - Individual applications). ... Ein derartiges Rechtsschutzsystem ist für internationale Menschenrechtskonventionen einzigartig und unterscheidet die EMRK beispielsweise von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen« (Wikipedia).

Da es noch kein individuelles Klage- / Berufungsrecht in Bezug auf den "Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte" (Bürgerrechtspakt), den "Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" (Sozialpakt) vom Dezember 1966 oder gar die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" von 1948 gibt, gibt es wie oben bereits genannt, seit 1998 auch eine Berufungsmöglichkeit auf das (Zusatz-) Protokoll Nr. 4 vom 16. September 1963 zur EMRK. In Artikel 2 Absatz 2 dieses Protokolls heißt es, insoweit den Bürgerrechtspakt vorwegnehmend:

»Jeder Person steht es frei, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen.« Allerdings haben die Politiker bereits hier vorgebaut. Im Absatz 3 dieses Artikels heißt es einschränkend: »Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterwor­fen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Frei­heiten anderer.«

Mithin mag die Aussage von Herrn Körting verkürzt erscheinen, bringt die Sachlage jedoch auf den Punkt. Schön finde ich die Einschränkung, bereits lediglich aus Gründen der "Moral" an der Ausreise gehindert werden zu können :-D

Link
:
http://ddr-luftwaffe.blogspot.com/2010/08/reisefreiheit-fur-ddr-burger.html

update
(19.10.2014)

Keine drei Jahre später wird die Ausreise nicht nur für "Hooligans", G8-Gegner oder Friedenshetzer im Allgemeinen reduziert, nein, jetzt soll "Islamisten" der Personalausweis (PA) weggenommen werden. Daß das nur ein weitere "Pilot" ist, sollte klar sein.

Die BRD _ Behörden können bisher zwar den Reisepaß abnehmen, aber jeder kann dennoch mit PA im Schengenraum reisen, sogar nach Großbritannien, Schweiz und Türkei ... und beim letzteren helfen nette Beamte schon, nach Syrien zur IS einzureisen. Bei den eingangs Genannten wurde in den letzten Jahren die Reisefreiheit bei "Besuchsreisen" mit PA wirkungsvoll mit polizeilichen Meldepflichten unterlaufen. Dazu siehe Bitte das PAuswG und §§ 7, 8 und 24 PassG. Nach letzterer Vorschrift ist der illegale Grenzübertritt eine Straftat: "Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft ...". Schreiben für Meldeauflagen sehen bspw. so aus:

»Sehr geehrte Frau X, der Geltungsbereich ihres Personalausweises ... wird hiermit gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes über Personalausweise ... dahingehend beschränkt, dass der Personalausweis nicht zum Verlassen des Gebietes des Geltungsbereichs des Grundgesetzes über eine Auslandsgrenze berechtigt. Die Beschränkung hat zur Folge, dass Ihnen die Ausreise nach § 10 des Passgesetzes untersagt ist. Nach § 24 des Passgesetzes wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft, wer entgegen der Beschränkung ausreist oder auszureisen versucht. Die Maßnahme ist bis zum ... befristet.«

Die längerfristige Ausreise von "Dschihadisten" läßt sich so jedoch nicht unterbinden.

Neben der BMI-Variante, daß der Ausweis künftig eingezogen werden könnte und der Betroffene dafür ein Ersatzdokument erhält, könnte bereits heute im hoheitlichen Teil des Chipspeichers der Ausweiskarte angeordnet und gespeichert werden, "dass dieser Personalausweis nicht zum Verlassen Deutschlands berechtigt", vgl. § 6 Abs. 7 PAuswG

Dabei spielt es auch keine Rolle, ab der Ausweisinhaber seinen "persönlichen Teil" des Chipspeichers freigeschaltet hat oder nicht. Praktisch müßten dann an den Schengen-Binnengrenzen, gern an den folgenden Mautstationen, Ausweiskontrollen erfolgen. Bei der BMI-Variante "Ersatzdokument" würde eine einfache Sichtkontrolle reichen, ansonsten müßte "gescannt" werden.

Spannend ist, daß auch die Republikflucht als "Versuch der Ausreise" unter Strafe gestellt werden soll. Als Indizien für diese Straftat sollen "etwa die Kündigung der Wohnung oder das Fernbleiben vom Arbeitsplatz sein".

Tja, wenn zwei das Gleiche tun, ist es immer noch nicht das Selbe.

update
(07.01.2019)
Der "Versuch der Ausreise" aus der BRD ist unter bestimmten Bedingungen seit dem 20.06.2015 gemäß § 89a Abs. 2a StGB strafbar. Die Strafbarkeit wurde durch Artikel 1 Nr. 2 Buchstabe b des GVVG-Änderungsgesetzes in das Strafgesetzbuch der BRD eingefügt.

Trotz aller rechtlicher Bedenken, so durch den früheren Bundesrichter Thomas Fischer, wurde und wird dieses spezielle Strafrecht abgewendet. So durch Beschluss vom 6. April 2017 des Bundesgerichtshofs (BGH 3 StR 326/16).

In diesem Urteil ging es bspw. um jemand, der von München in die Türkei flog. Dort wurde ihm der Grenzübertritt nach Syrien verwehrt, er flog zurück und wurde beim Widerholungsversuch bereits in München festgenommen. Das Gericht betonte: "Er verfügte über ein 'One Way-Ticket' und führte neuwertige Outdoor-Bekleidung im Wert von mehreren hundert Euro, zwei Mobiltelefone und 270 € in bar mit sich; bei den Kleidungsstücken handelte es sich teilweise um solche, die auch von Soldaten in Wüstengebieten getragen werden." Das brachte den verhinderten Dschihad-Azubi 2,5 Jahre Gefängnis ein.

Wie meinte Herr Fischer so schön im Oktober 2018: "Das ist eine Strafnorm, von der man sagen muss, da stößt der Rechtsstaat an die Grenzen des Schuldprinzips: Weil da ja möglicherweise letzten Endes nicht viel mehr bestraft wird als der bloße böse Wille, der bloße idiotische Gedanke." Um etwas später zu ergänzen: "Und die Bürger müssen sich immer auch überlegen: Diese Sicherheitsanforderungen, die betreffen ja auch sie selbst (...) Das kann massiv nach hinten losgehen. Und in der Regel ist es in der Geschichte immer nach hinten losgegangen."

1 Kommentar:

  1. Den "Versuch der Ausreise" (und das Schleuserunwesen und die Reisefinanzierungen) unter Strafe zu stellen, geht auf die Resolution 2178 (2014) vom 24. September 2014 des UN-Sicherheitsrates zurück. Dort heißt es u.a.:

    Der Sicherheitsrat beschließt "dass die Mitgliedstaaten ... Beförderung ... von Personen, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten oder sich daran zu beteiligen oder Terroristen auszubilden oder sich zu Terroristen ausbilden zu lassen, sowie die Finanzierung ihrer
    Reisen und Aktivitäten verhüten und bekämpfen".

    Bei Heise weiß man immerhin, daß sich im Bundesjustizministerium »zum Beispiel Gedanken dazu gemacht, dass "allein neutrale Reisevorbereitungen wie der Erwerb von Reiseutensilien" im Regelfall "nicht für die Anordnung von Maßnahmen nach den §§ 100a [Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation], 100c [akustische Wohnraumüberwachung] und 111 StPO [Kontrollstellen auf Straßen und Plätzen]" ausreichen werden« ... immerhin!

    Aber, keine bange, es geht (vorläufig?) ja "nur" gegen "Terroristen". Aber Reisetaschen online oder bargeldlos zu kaufen, könnte kritisch werden.

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