Samstag, 26. Dezember 2009

Aus der Geschichte der 43. FRBr ( Folge 5 )


Vorbemerkung :
Wir bleiben noch mit einigen Erinnerungen in Retschow, schon allein deswegen, weil diese FRA als letzte Abteilung erst Ende August / Anfang September 1962 ihre Stellung bezogen hat. Man könnte auch noch einen anderenGrund anführen, über den werden wir ebenfalls berichten, er liegt allerdings ca. 25 - 27 Jahre später ....

Quellennachweis :
Erinnerungsbericht F. Forkert

Auszug aus einem Erinnerungsbericht zum Zeitraum 1961 - 1963, wie ihn Friedrich Forkert erlebte und wie er ihn z.T. aus heutiger Sicht begegnet. Obltn. Forkert kam am 01.03.1962 zum erstenmal nach Retschow, war KC - FuTK, später Ingenieur der Abteilung, nach 25 Dienstjahren 1980 in die Reserve versetzt. Er berichtet :

" ... Es war nicht einfach, den mecklenburgischen Ort RETSCHOW auf der Landkarte zu finden, als mir am Ende 1961 eröffnet wird, dass ich mit Wirkung vom 01.12.1961 in das Fla - Regiment 18, 4. Feuerabteilung, versetzt werde. Wichtig für mich ist vorallem die Information, dass es dort auch Wohnungen für die Familien geben soll. Anfang 1962 melde ich mich in Pinnow beim Regimentskommandeuer, Maj. Hering. Zusammen geht es zur Dienstbesprechung mit den Abteilungskommandeuren nach Sanitz. Dort werde ich dann " meinem " Kommandeur der 4. Feuerabteilung, Hptm. Pohl, vorgestellt, der für seine neue Funktion bereits eine Ausbildung in Pinnow absolviert hatte. Danach fahren wir sofort nach Barth, ich lerne jetzt meine Kompanie und die kurz zuvor übernommene Technik in den nächsten Tagen und Wochen kennen. Mit der Technik dauert es sogar noch etwas länger ...

Ich selbst weiß zu diesem Zeitpunkt von und über Fla - Raketen nur soviel, wie in den offiziellen Mitteilungen zum Abschuß des US - Spionageflugzeuges U - 2 steht : in einer Höhe von 18.000 m, über der Stadt Swerdlowsk, mitten im Ural, tief im Luftraum der UdSSR. Allerdings hatte ich bereits mit Funkmeßtechnik zu tun .... Anfang Januar 1962 war also die Übernahme der Hauptbewaffung der zukünftigen Feuerabteilung erfolgt, einen Fla - Raketenkomplex SA - 75. Stationierung, Entfaltung und Ausbildung aber in der FRA Barth, aus bekannten Gründen. Die aus Pinnow zuversetzten Offz. / Uffz. verfügen über Kenntnisse aus der dort vorangegangenen Spezialausbildung. Für mich ist aber diese Technik vollkommen neu und ohne die Hilfe / Unterstützung meiner Mitkämpfer wäre es mir nicht möglich gewesen, mir so schnell eigenes Wissen anzueignen. Am 01.03.1962 sehe ich dann zum erstenmal RETSCHOW, den Ort und die Dienststelle, in der ich bis zu meiner Versetzung in die Reserve 1980 dienen sollte. Ich sehe allerdings auch, dass die Wohnblöcke in der NVA - Wohnsiedlung noch im Baus sind, d.h. eine weitere Trennung von der Familie ist damit vorgegeben, meine Frau muß die Probleme alleine lösen .... Am 09.September 1962 ist es aber soweit : Einzug in die neue Wohnung ! Aber wie so oft, vorher und auch nachher, die Aktion muß von den Frauen alleine " gestemmt " werden, denn zeitgleich Anfang September erfolgt jetzt die Verlegung der Fla - Raktentechnik von Barth nach Retschow. Durch die TA in Sanitz werden die Raketen zugeführt, die Herstellung der Gefechtsbereitschaft sollte zudem in den nächsten Wochen eine ganz andere, ernstere Bedeutung erhalten ....

Bereits im Sommer hatte es Anzeichen einer Verschlechterung der poltischen " Großwetterlage " gegeben - in den Beziehungen zwischen den Großmächten USA und UdSSR kriselte es, die USA stationierten Atomraketen in der Türkei und hatten damit die UdSSR eingekreist, die Auftritte von John F. Kennedy und Nikita Chrustschow nehmen immer schärfere Formen an. Die Antwort der UdSSR läßt nicht lange auf sich warten : im Oktober erfolgt die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Kuba. Die Situation des ständig immanenten " Kalten Krieges " zwischen den beiden Militärblöcken kannten wir, mit dieser Situation lebten wir bisher. Aber jetzt ...? Am 05.10.1962 beginnt das Manöver " Baltyk - Odra ", ab 14.10. weitere Verschärfung der Lage in der Karibik, durch eine Seeblockade der USA in internationalen Gewässern vor Kuba verursacht. Am 23.10.1962 löst das Oberkommando der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages die " Erhöhte Gefechtsbereitschaft " aus, für unsere Feuerabteilung bedeutet das, ab sofort die Bereitschaftsstufe " B 1 " !
Kontakt zu unseren Familien haben wir nicht mehr, die Stellung darf keiner mehr verlassen, viele Gedanken gehen einem da durch den Kopf : nach nur wenigen Monaten Ausbildung stehen wir sozusagen mittendrin in einer möglichen militärischen Konfontration, an einer Frontlinie... Zu jeder Zeit kann im Ernstfall jetzt der Befehl zum Raketenstart gegeben werden, wer fragt danach, dass wir bisher noch keinen realen Einsatz unserer Waffentechnik durchgeführt haben, die Möglichkeiten der Bekämpfung mit Fla - Raketen von Zielen in großen Höhen ohne praktische Erfahrungen einsetzen sollen usw. usw. Die Erfahrungen der Gefechtshandlungen der sowjetischen LV, z.B. beim Abschuß der U - 2, sind immer noch nicht zugänglich. Einen guten Ausbildungsstand hat die zum Bestand der Feuerabteilung gehörende 57 mm - Flak - Batterie ... "

Die Zeitung " Volksarmee ", Ausgabe Nr. 45 / 1962 berichtet unter der Überschrift " Kuba wird auch in Berlin und Moskau verteidigt " und im Artikel " Kubanischer Soldat Mendoza : " Wir bewundern Euch ! " über einen Briefwechsel ... Der kubanische Soldat Angel Mendoza schreibt seinen deutschen Waffenbrüdern der NVA - Einheit POHL in Retschow, dass das kubanische Volk die Solidarität zu schätzen weiß, die ihm auch von Seiten der DDR bekundet wird, besonders in diesen Tagen. Ein Kollektiv der " Freundschaft mit Kuba " hat sich gegründet und steht seit der Verschärfung der Krise mit Angehörigen der kubanischen Streitkräfte in Kontakt.
Soviel zur Meldung aus der Zeitung. Unstrittig ist in dieser Zeit eine große Sympathie - und Solidaritätswelle für das kubanische Volk, die große Teile der Bevölkerung der DDR erfaßt.

" ... Die Situation wird immer ernster, u.a. führen die USA und die UdSSR jetzt kurzfristig Atombombentest auf ihren Territorien durch. Die Gefahr eines Weltkrieges, diesmal mit massenhaften Einsatz von Atomwaffen, besteht real - davon erfahren wir aber erst später. Auch, dass US - Militärs ihren Präsidenten bedrängen, das Signal für die startbereiten strategischen Bombergeschwader zu geben. Am 28.10. kommt es zwischen J.F. Kennedy und N. Chrustschow zu einer Übereinkunft : die jeweilige Seiten ziehen die stationierten Mittelstreckenraketen aus der Türkei bzw. Kuba zurück, die Krise ist beendet und nicht nur wir sind froh und erleichtert.... ich denke, wer in dieser Zeit an der eingeschalteten Fla - Raketentechnik steht, an den abschußbereiten Startrampen und die Informationen zur militärischen Situation verfolgt, hat hautnah den Ernst der entstandenen Lage und vorallem die möglichen Folgen gespürt. Wir sind uns bewußt, dass das zwischen den Militärblöcken bestehende militärstrategische Gleichgewicht und letzlich die Oberhand behaltene Vernunft / Verantwortung der beiden Staatsmänner diesen für die menschliche Zivilisation tödlichen Krieg verhindert haben. Beiden ist wohl auch klar geworden, dass ein Atomkrieg nicht führ - und gewinnbar ist. Offen ausgesprochen wurden diese Worte jedoch nicht.
Die Entspannung der internationalen Lage hat natürlich auch für uns als FRA ganz praktische
Auswirkungen. Unter Aufrechterhaltung der Gefechtsbereitschaft können die Offz. wieder kurzzeitig zu ihren Familien in die Wohnsiedlung bzw. auf die Unterkünfte im A - Objekt. Nach einer weiteren kurzen Zeit dann " Normalzustand ", die Vorbereitung des AJ 1962 / 63 beginnt. Und zwar mit den Schwerpunkten : erstes reale Gefechtsschiessen mit Fla - Rakten in der UdSSR und Übernahme in das Diensthabende System ( DHS ) der Luftverteidigung des Warschauer Vertrages.

Das Ausbildungsjahr 1962 / 63 beginnt dann auch prompt mit Überraschungen : mit Eis und Schnee, mit Temperaturen um - 26° C , sogar die nahe Ostsee ist bis auf einige Fahrrinnen zugefroren ! Eine geschlossene Schneedecke überzieht von ca. November 1962 bis zum April des Folgejahres das Land. Um die Technik und das Stellungssystem einsatzbereit zu halten, sind die Bedienungen teilweise Tag und Nacht gefordert und ständig unterwegs. Für den Fla - Raketenkomplex stehen leistungsstarke und robuste Stromversorgungsanlagen zur Verfügung, aber bei dem örtlichen öffentlichen Energienetz gibt es immer und immer wieder Zwischenfälle und Stromunterbrechungen. Ein fast noch größeres Problem ist der damit verbundene Ausfall der Wasserversorgung, da sowohl die Dienststelle als auch die Wohnsiedlung von einunddemselben Brunnen aus versorgt werden.
In den ersten Jahren gibt es noch weitere Schwierigkeiten, die gemeistert werden müssen. Alle aufzuführen, ist schlicht unmöglich. Belastend ist auch der Umstand, dass auf Grund unzureichender Verkehrsanbindung - 1 x / Woche fährt ein Bus nach Bad Doberan - die Arbeitsmöglichkeiten der Ehefrauen stark eingeschränkt sind. Jeder, der den Dienst und das Leben in einer Fla - Raketeneinheit mitgemacht hat, weiß davon zu berichten. Ich persönlich kann mich nicht an einfache Zeiten erinnern ...

Am 01.07.1963 erfolgt die Umbenennung des Truppenteils vom bisherigen Fla - Regiment zum Fla - Raketenregiment 18, aus der 4. Feuerabteilung ( FA ) wird jetzt die 4. Fla - Raketenabteilung ( FRA ). Vom 17.07. - 28.07.1963 führen wir auf dem Polygon in Ashuluk in der UdSSR unser erstes Gefechtsschiessen mit der Note " Gut " durch. Bis zum 31.12.1986 ist dann die FRA im DHS der LV des Warschauer Vertrages eingesetzt.
1990 und in den Jahren danach war vieles neu zu bewerten, auch die Jahre im Dienst bei den Luftstreitkräften / Luftverteidigung der NVA in den Zeiten des " Kalten Krieges " zwischen den Militärblöcken. Heute kann ich mit dem Abstand von 29 Jahren auf diese Zeit zurückblicken und versuchen, Antworten auf Fragen aus dieser Zeitepoche zu finden. An einen Ausspruch von Carl - Friedrich von Weizsäcker werde ich mich aber stets erinnern, der so zutreffend für diese Zeit steht : " ... der dritte Weltkrieg wird stattfinden, wenn er gewonnen werden kann. " Dieser Satz, im Jahre 1985 geschrieben, war 1962 sicher genauso gültig ...

In der Chronik des Ortes RETSCHOW sind nur 2 militärische Ereignisse vermerkt : das erste als " Gefecht bei Retschow " im Jahre 1813, das zweite als Fla - Raketenabteilung der NVA von 1961 - 1990. Seitdem gehört beides zur Geschichte ... " - Fortsetzung folgt.

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