Sonntag, 13. Februar 2011

Grundwehrdienst

Die Bundeswehr wurde bereits 1955 als Wehrpflichtarmee geschaffen. Aus praktischen Gründen erfolgten die ersten Einberufungen erst zum 1. April 1957. Zu den praktischen Gründen gehörten fehlende Unterkünfte, Wahlkampfüberlegungen und mangelnde Qualität der freiwillig dienenden Ausbilder, vgl.: "Die NATO-Option" von Hans Gotthard Ehlert, S. 826 f. Der Grundwehrdienst dauerte anfänglich 12 Monate. Ab dem 1. April 1961 bestand die Möglichkeit, einen zeitweise deutlich längeren zivilen Ersatzdienst zu leisten.

Die Nationale Volksarmee (NVA) wurde dagegen zum 1. März 1956 als Freiwilligenarmee gegründet. Erst mit Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes vom 24. Januar 1962 wurde die NVA zur Wehrpflichtarmee umgewandelt. Der Grundwehrdienst dauerte vom 01. Mai 1962 bis 30. April 1990 durchgängig 18 Monate. Mit den am 07. September 1964 durch Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates (GBl. I, S. 129) geschaffenen Baueinheiten wird ein waffenloser Wehrersatzdienst möglich, der ebenfalls 18 Monate dauerte.

Als im Juli 1961 der Ausbildung der Bundeswehrkader beendet war und große Einberufungen anstanden, wurde - noch vor Sicherung der Staatsgrenze und Einführung der Wehrpflicht in der DDR - die Verlängerung der Wehrdienstzeit verkündet. Im Herbst 1961 wurde die Dienstzeit der Grundwehrdienstleistenden und Soldaten auf Zeit mittels 3-monatiger Wehrübung verlängert. Zum 1. April 1962 verlängerte sich die Dauer des abzuleistenden Grundwehrdienstes in der Bundeswehr generell auf 15 Monate und bereits zum 1. Juli des gleichen Jahres auf 18 Monate. Im Rahmen der Politik des "Wandels durch Annäherung" und der durch die BRD abgeschlossenen "Ostverträge", wurde die Dienstzeit 10 Jahre später, ab 1. Januar 1973, auf 15 Monate verkürzt.

Im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluß und dem Aufstellen von US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa beschließen die USA, bei den Beratungen zum "Verteidigungs"haushalt 1984/85, eigene Truppenreduzierungen in Westeuropa, bei gleichzeitiger Truppenverstärkung ihrer Verbündeten in Westeuropa (Nunn-Roth-Amendment). In Treue beschloß der Bundestag der BRD daraufhin im Jahr 1986 die Anhebung der Dauer des Grundwehrdienstes auf 18 Monate ab 1989 (§ 5 Abs. 4 Wehrpflichtgesetz i.d.F. vom 13. Juni 1986, BGBl. 1986 I, S. 882). Die Härte dieses Beschlusses war eigentlich die gleichzeitige Verlängerung des Zivildienstes auf 24 Monate!

Ab dem 1. Mai 1990 wird für die NVA, bis zu ihrer Auflösung am 30. September 1990, der Grundwehrdienst auf 12 Monate reduziert. Ein voraussetzungsloser Zivildienst mit gleicher Dauer wie der Wehrdienst wurde bereits zum 1. März 1990 eingeführt.

Die Verlängerung des Grundwehrdienstes in der Bundeswehr wurde am 1. Juni 1989 auf das Jahr 1992 verschoben (Plenarprotokoll 11/146, S. 10864) und - im Zuge der Umstürze in Osteuropa - nicht umgesetzt. "Schon" 20 Jahre nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation wird am 15. Dezember 2010 durch die BRD-Regierung eine Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 beschlossen, da sie sich offensichtlich als Hindernis beim Umbau zur Interventionsarmee und Armee gegen innere Feinde erwiesen hat. Die vorläufig letzten Wehrpflichtigen in Deutschland wurden zum 1. Januar 2011 einberufen.

update (24.12.2012)
Westberlin wäre eine eigene Aufarbeitung wert.

Normalerweise gelten Gesetze im Inland. Für die BRD hieß das vor 1990 grundsätzlich "in den Grenzen von 1937", also einschließlich DDR, "Ostgebiete" jenseits von Oder und Neiße, sowie Westberlin. Auf den Vollzug außerhalb der realen Grenzen wurde durch die Verwaltung regelmäßig "verzichtet". Bezüglich Westberlin ging das nicht so einfach, da die westalliierten Sieger des 2. Weltkrieges regelmäßig bereits gegen das Gesetz ihren Vorbehalt einlegten. So gab es die Berlin-Klausel. Nicht so im Wehrpflichtgesetz von 1956, da durfte Westberlin explizit nicht mit erfaßt sein. Also hatte der Gesetzgeber ein Problem. Das wurde durch die Variable "Geltungsbereich" im Einzelgesetz gelöst ... was das war, wurde durch Verwaltung und Justiz entschieden.

Nun lag es nahe, sich der westdeutschen Wehrpflicht durch Umzug nach Westberlin zu entziehen. Wehrpflichtige hatten nach Beginn der Erfassung ihres Geburtsjahrgangs, also nach Vollendung ihres siebzehnten Lebensjahres, eine Genehmigung des zuständigen Kreiswehrersatzamtes einzuholen, wenn sie das Bundesgebiet für länger als drei Monate verlassen wollten (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 WPflG). Wehrdienstentzieher wurden mittels Rechts- und Amtshilfe z.T. medienträchtig aus Westberlin zurückgeholt und bestraft. Daß junge westdeutsche Männer aus Westberlin zurückgeführt werden dürfen, auch ohne, daß sie vor dem Umzug eine Einberufung in der Tasche hatten, war 1959 durch das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich entschieden worden. Die Masse hat sich wohl schlicht zu einer freiwilligen Rückkehr überreden lassen, schließlich wollte man auch mal zurückkehren oder die Eltern besuchen, s.a.:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46175555.html

Der Spiegel berichtetete noch in seiner Ausgabe 30/1969 u.a.: »... holte die Bundeswehr mit Hilfe westdeutscher Gerichte Jahr für Jahr rund zwei Dutzend Deserteure und Dienstunwillige aus Berlin heim ins Reich der Wehrpflicht«. Die Gesamtzahl der Wehrdiensterzieher wurde daher für Westberlin zu diesem Zeitpunkt auf "nur" 5.000 geschätzt, vgl.:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45549100.html

Nach meinen Recherchen entfiel die Rückführung und Bestrafung von westdeutschen Wehrpflichtentziehern aus Westberlin vor ihrer Einberufung erst mit der "Berlin Kommandatura Letter" (BK/L) Nr. 6(a) 29 vom 8. August 1969. Der deutschen Bevölkerung wurde diese erst mit einer Mitteilung des AG Tiergarten in der NJW 1970, S. 1281f bekannt gegeben. Diese Entscheidung kann nicht losgelöst von der Einstellung des Militär-Strategischen-Gleichgewichts Ende der 1960er, der beginnenden Friedlichen Koexistenz, den Bodenblockaden  Westberlins (1965, 1968, 1969) und vor allem dem Berliner Viermächte-Abkommen vom 03. September 1971 gesehen werden, wonach Westberlin kein Bestandteil der BRD war und nicht von ihr regiert werden durfte.

Danach schwoll die Gesamtzahl der Wehrdienstentzieher in Westberlin auf 50.000 an.

Die BK/L 6(c) 29 vom 8. August 1969 erlaubte allerdings weiterhin explizit die "Rechts- und Amtshilfe" gegen bereits Einberufene, da diese sich als Soldaten der Bundeswehr nicht in Westberlin aufhalten dürften.

2 Kommentare:

  1. Ich bin sehr dankbar, dass hier genannt wird, dass 1986 die Verlängerung der Dienstzeiten in der BRD beschlossen wurde und 1989 verschoben wurde. Wir haben diesbzgl. in Wikipedia eine Diskussion, ob dies überhaupt gewesen sei, obwohl es zum Glück noch sehr viele Augenzeugen geben wird. Haben Sie gute Belege für diese Aussage, am besten die damaligen Beschüsse und Gesetzestexte als PDF vorliegen? Wenn ja, werde ich eine Kontakt-E-Mail mitteilen.

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  2. Online kenne ich die Gesetzblätter nicht, aber vielleicht hilft eine aussagekräftige Fußnote weiter:
    "Deutsche Einheit: Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90" Von Hanns Jürgen Küsters,Daniel Hofmann,Germany (West). Bundeskanzleramt, dort S. 412, Fn 4

    Falls der Link nicht geht, einfach "Nunn-Roth-Amendment" bei Google eingeben, der erste Treffer ist es.

    HINT

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