Dienstag, 19. Januar 2010

Aus der Geschichte der 43. FRBr ( Folge 6 )

Vorbemerkung :

wie schon angekündigt, noch einige Erinnerungen zu Retschow. Diesmal von Albert Schmidt, zuletzt Hfw. in der Startbatterie, nach der Versetzung in die Reserve am 30.11.1989 als Zivilbeschäftigter in der neu formierten und mit dem Fla - Raketenkomplex S - 300 ausgerüsteten FRA 4351 vorgesehen. Die Schilderung der Einsätze von Soldaten im Winterchaos von 1968 / 69 bzw. von 1978 / 79 sind der zeitlichen Folge geschuldet und haben nichts mit der aktuellen Bewältigung des Winters seit Januar 2010 hier im Norden zu tun ...

Quellennachweis : Erinnerungsbericht A. Schmidt


Er schreibt zu seiner Dienstzeit vom 03.11.1964 - 30.11.1989, dass seine Erinnerungen geprägt sind aus der Sicht eines Soldaten im Grundwehrdienst, eines Uffz. auf Zeit und eines Berufs - Uffz. / Fähnrichs :

" Alles beginnt am 03.November 1964 mit der Einberufung in Sanitz. Dort werden dann alle in die einzelnen Fla - Raketenabteilungen aufgeteilt, ich komme in die 1.FRA nach Abtshagen ...

Nach einer Grundausbildung wird dann nochmals eine " Sortierung " vorgenommen, dabei werde ich zur 57 mm Flakbatterie versetzt. Da ich am letzten Tag der Grundausbildung wegen eines Nierenleidens ins Krankenhaus nach Stralsund eingeliefert wurde, habe ich aber die ersten 3 Wochen der Flakausbildung versäumt. Nun komme ich gerade zur rechten Zeit, um über Weihnachten Wache zu stehen. Das war damals so, dass die Kompanien selber die Sicherheit des Objektes zu gewährleisten hatten. Nach einem kurzen Neujahrsurlaub beginnt das Jahr mit dem Bau einer neuen Flakstellung. Jeden Tag von morgens bis abends den Spaten schwingen. Am Anfang waren Blasen an den Händen das Normale.

Am 14.01.1965 muß ich zum Batteriechef, Oblt. Brandenburg, Dieser teilt mir kurz und knapp mit: Sie werden morgen in die 4.FRA versetzt, nach Retschow. Am 15.01.65 dann Ankunft in Retschow, zusammen mit den Offz. Ltn. Metke und Ltn . Bössenrodt. Diese waren nach einer Quali - Maßnahme in der Sowjetunion nach Retschow beordert worden.

Ich werde in die FutK eingegliedert. Damit wusste ich überhaupt nichts anzufangen. Aber dies änderte sich recht schnell. Denn schon am anderen Tag beginnt meine Ausbildung an der Stromversorgungsanlage. Mein Gruppenführer war Uffz. Guhr , ein absoluter Spezialist. Normalerweise wurden nur Elektriker oder E-Monteure als Aggregatewarte ausgebildet, ich war Schlosser. Also ist die Ausbildung für mich nicht gerade einfach ...

Das Jahr 1965 ist für die Abteilung ein besonderes Jahr. Steht doch die Vorbereitung auf das Gefechtschießen in Ashuluk in der UdSSR an. Auch die Abgabe des DWINA-Komplex und die Übernahme des neuen Wolchow- Komplexes. Das GS wird bereits schon auf Wolchow durchgeführt.

Neben meiner Ausbildung als Aggregatewart muß ich noch die Ausbildung als MKF durchlaufen. Das wird so gefordert, auch für Berufskraftfahrer.

Mit der Einführung des Wolchow-Komplexes werden die Zugmaschinen für die Technik verändert. Die sehr leistungsstarken Kettenzugmittel ATS müssen der radgetriebenen Kraz - 214 weichen. Dadurch wird die Transportgeschwindigkeit bei Verlegungen zwar wesentlich erhöht, hat aber auch zur Folge, dass die Startrampenstellungen baulich verändert werden müssen. Der pioniertechnische Ausbau wird - wie so oft - in Truppeneigenleistung ausgeführt. Dies sollte in den nachfolgenden Jahren bei jeder Erneuerung so sein. Dazu wird dann " Personal " aus anderen FRA geordert. Manchmal gibt es dazu auch großartige Ideen : so kann ich mich erinnern, bei einer Truppenübung wurde die 1. FRA durch Atomschlag als ausgefallen gewertet, um dann den Personalbestand in der 4. FRA zum Bau einzusetzen.

Nachdem meine Ausbildung sein Ende zuging, wurde ich auch zugelassen, im DHS Aufgaben zu erfüllen.Die Unterbringung der Sold. und Uffz. erfolgt in Personalbunkern, 1 x für die FuTK, 3 x für die SB und 1 x für den Na - Zug. Die Ausstattung besteht aus selbstgezimmerten Holz - Doppelbetten, einen langen Tisch und pro Person einen Schemel. Geschlafen wird in Uniform, nur die Stiefel dürfen ausgezogen werden. Geheizt wird im Winter mit einem eisernen Kanonenofen. Da die Gefahr besteht, dass eventuell sich Kohlendioxyd bildet, wurde eine Kerze bei Nachtruhe angezündet, die durch ein Sold. ständig zu beobachten war .Sollte die Kerze ausgehen, musste er den Personalbestand wecken. Dies war nie der Fall, oft war der Aufpasser schneller eingeschlafen als alle anderen ...

Dann war es so weit, alle Abnahmen zum GS wurden erfolgreich gemeistert, es konnte losgehen. Schon die Fahrt selbst, der Zwischenhalt in Moskau und die unendlichen Weiten hinter Moskau, die riesige Wolga. Das sind Erlebnisse, die man nicht vergißt ... Natürlich auch auf dem Polygon. Es ist einfach erstaunlich, wie die sowjetischen Soldaten mit diesen Bedingungen über so lange Zeit klarkommen. Die Salzsteppe, die unerträgliche Hitze und die Kälte in der Nacht, einfach sagenhaft.

Es kommt der Tag mit dem Gefechtsschießen selbst ,die Abnahme durch sowjetischen Kontroll-Offiziere, die Vorbereitung der Technik . Dann der absolute Höhepunkt, der Start der Rakete - es sind alles emotional stark bewegende Augenblicke ! Da wird uns als Soldaten das erste Mal so richtig klar, was wir doch für eine Verantwortung haben, über solch ein Waffensystem zu verfügen. Umso erfreulicher ist es, dass wir das GS mit der Note „ Ausgezeichnet „ erfüllen.

Wieder zu Hause angekommen, wird die Übergabe der DWINA-Technik fortgesetzt. Dies ist nicht ganz so einfach, muß doch alles wie bei der Übernahme aussehen und vorhanden sein. Wir von der Stromversorgung haben durch die gute Arbeit von Uffz. Guhr keine größeren Probleme.

1966 wird am Anfang alles auf den 1. März, den Tag der NVA, ausgerichtet. Unser Minister hatte sich dafür auch eine besondere Überraschung ausgedacht : er erließ den Befehl 30/66, kurz genannt den „ Alkoholbefehl „. War es bisher erlaubt, nach Dienstschluss - wenn man nicht gerade auf der Gefechtseinteilung stand - sein Feierabendbier zu trinken, gilt jetzt ab sofort ein generelles Alkoholverbot !

Alkohol also nur bei Ausgang und Urlaub. Da bekanntlich verbotene Früchte am besten schmecken, wird dies zum Problem in der Erziehungsarbeit der Vorgesetzten. Aber da die Zeit alle Wunden heilt, wird auch dies gemeistert ...

Eine große Aufgabe für die Führung der FRA ist das Thema Landwirtschaft. Immer wenn die Landwirtschaft Probleme bei der Ernte bekam, wussten sie, wo man um Hilfe ersuchen konnte … nämlich bei der in der Nähe des Ortes stationierten NVA - Einheit. Das geht manchmal soweit, dass die Einheits-Kommandeure rätseln müssen, wie sie die Gefechtsbereitschaft sichern sollen. Da kam dann der Spruch wieder auf: „ Wir gründen eine LPG - die Arbeit macht die Volksarmee “. Aber nach ein paar Jahren wurde dies erkannt und Arbeitseinsätze nur noch mit Genehmigung gestattet. Aber auch hier fand man eine Lösung, in dem Berufssoldaten nach Dienstschluss als Schicht - Traktoristen geworben wurden.

Zu den Wintern an der Ostseeküste, die zu einem Problem werden können, wenn zum Schneefall der hier oft anzutreffende Sturm dazu kommt ...

Da unsere Energieversorgung noch durch Freilandleitungen besteht, haben wir im Herbst und Winter mehr oder weniger lange Stromausfälle. Damit verbunden ist dann auch, dass wir kein Wasser haben und somit auch keine Heizmöglichkeiten. Besonders schwerwiegend ist, dass die Wohnsiedlung an die Energieversorgung der Kaserne angeschlossen ist. Ich kann mich gut daran erinnern, wie oft ich in die Kreisstadt nach Bad Doberan zum Kraftverkehr mit einem Tankhänger gefahren bin, um Wasser für alle zu holen. Vorallem ungewohnt war es für die jungen Ehefrauen der Berufskader, kannten sie doch solche Situationen nicht, da sie meist aus Städten kamen.

Besonders hart war der Winter 1968/69 : Der Schneefall und der heftige Sturm sorgten dafür, dass viele Straßen verweht waren. Aber auch Orte an der Küste kamen durch den auflandigen Sturm incl. Wassermassen und Eis in Bedrängnis, in Heiligendamm drohte die Ostsee den Ort zu überfluten … es wurde Katastrophenalarm ausgelöst ! Unsere Einheit und die Dieststelle der Volksmarine in Kühlungsborn wurden beauftragt, in Heiligendamm einen Schutz zu errichten, einen Damm aus Sandsäcken und Steinen. Es bedurfte schon einiger Kraftanstrengung, um den Ort Heiligendamm überhaupt zu erreichen. Wir mussten uns regelrecht durchschaufeln .... Angekommen, haben wir sofort begonnen mit dem Ausbau des Dammes. Der Sturm und die Kälte sorgten dafür, dass das Wasser der riesigen Wellen uns oft als Eisstücke um die Ohren flogen. Geplant war, dass wir nach 3 Stunden Einsatz durch Kräfte der Volksmarine abgelöst werden sollten. Aber daraus wurde nichts. Auf der Fahrt von Kühlungsborn nach Heiligendamm blieben sie stecken, hatten sich in den Schneeverwehungen mit allen Fahrzeugen festgefahren. Auf ging es im Fußmarsch an der Küste entlang Richtung Heiligendamm. Als sie nach Stunden ankamen, waren sie so fertig, dass sie sich erst einmal erholen mussten. Dadurch haben wir ca. 7 Stunden ohne Unterbrechung gearbeitet. So ganz ungefährlich war es auch nicht. Die Wellen hatten ganz schön Kraft. Wenn man sich mal aufrichtete, konnte es passieren, dass einen die Wellen mitsich zogen. Wolfgang Spanke und ich haben uns dabei des öfteren gegenseitig davor gerettet.

Als wir dann abgelöst wurden, für die Zeit von ca. 3 Stunden, wurden wir in einen Ferienheim untergebracht. Beim Ausziehen der Wattekombis wurden viele beschädigt, da sie durch die Nässe gefroren waren und einfach auseinanderbrachen. Nach der Pause, es war inzwischen schon Tag, haben wir die Sandsäcke mit Steinen stabilisiert. Nach zwei Tagen Einsatz war der Schutzdamm so sicher, dass der Ort Heiligendamm gerettet werden konnte. Zur gleichen Zeit wurde ein weiteres Arbeitskommando erstellt mit der Aufgabe, einen Personenzug der Deutschen Reichsbahn aus einer Schneewehe zu befreien. Er war kurz vor Bad Doberan stecken geblieben. Da der Zug an einer Stelle zum Stehen gekommen war, wo man keine Technik einsetzen konnte, musste die Räumung mit Schaufel und Spaten geschehen. Beteiligt waren dabei außer unseren Armeeangehörigen auch Angestellte des Rates des Kreises Bad Doberan.

Wie“ erfreut“ waren wir, als dann Tage später in der „ Ostsee – Zeitung „ stand: „ … Viele freiwillige Helfer und auch die NVA befreiten den Zug der DR ...“.

Wenn wir nun dachten, dass wir den schlimmsten Winter erlebt hätten ...ganau 10 Jahre später, im Winter 1978/79, wurden wir eines besseren belehrt : am 31.12.1978 fing alles an. Wir feierten fröhlich den Jahreswechsel, draußen stürmte und schneite es heftig. Da wir ja es gewohnt waren, mal immer wieder einen „ richtigen „Winter zu haben , machte sich keiner so richtig Sorgen. Aber es war damit bald vorbei. Der Schneefall wurde immer heftiger und durch den Sturm waren wir mit einmal von der Außenwelt abgeschnitten. Es dauerte auch nicht mehr lange und wir hatten keinen Strom und auch kein Wasser mehr. Alle Versuche, nach draußen zu kommen, scheiterten zunächst. Am 2. Januar musste dann etwas geschehen. Als erstes stellte unserer Ingenieur der Abteilung, Maj. F. Forkert, die Stromversorgung sicher. Dazu wurde die Stromversorgungsanlage der Fla – Raketentechnik genutzt. Wir hatten wieder Wasser und die Heizung konnte auch arbeiten. Nun wurden aber die Lebensmittel in der Wohnsiedlung kapp …

Die Schneewehen haben inzwischen die Baumkronen der Alleenbäume erreicht.Nun wurde ein Kommando zusammen gestellt, dass sich mit Schlitten, Ski und Rucksäcken ausrüstete. Wir kämpften uns durch den Wald des Sperrgebietes bis nach Glashagen durch - dies ging besser, als wir ursprünglich dachten - , dann war es aber vorbei mit lustig. Der nächste Abschnitt war von Glashagen nach Reddelich. Ca 3 km mussten wir durch die Schneeverwehungenen, dabei versackten wir immer wieder bis zur Brusthöhe und mussten uns gegenseitig befreien. Wir brauchten für diese kurze Strecke fast 3 Stunden. In Reddelich angekommen, machten wir erst einmal eine Rast in der Gaststätte, die freundliche Wirtin gab uns warmen Tee und Kaffee .Dann ging es weiter … von Reddelich nach Bad Doberan. Dort haben wir die Bäcker und Fleischer aufgesucht, unsere Schlitten und Rücksäcke gefüllt und anschließend den Rückweg angetreten. Am Abend erreichten wir endlich unsere Kaserne, über die MHO wurde dann die Ware verkauft ...

Es ging weiter mit dem Winter, die Anforderungen der Kreis - Katastrophenkommission lagen schon auf dem Tisch des K – FRA ! Folgende Schwerpunkte gab es: Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung und den Bahnhof Bad Doberan schnee- und eisfrei halten !

Zur Erfüllung dieser letzteren Aufgabe wurde mir eine Arbeitstrupp aus Sold. und Uffz. zugeteilt. Wir mussten die Schienenanlage, Weichen und Signalanlagen einsatzbereit halten. Danach Einsatz an der die Bahnstrecke Bad Doberan –Wismar, die Strecke schneefrei machen. Zur Unterstützung sollte von Wismar kommend ein Schneepflug uns entgegen kommen. Wir kamen auch gut voran, da im Streckenabschnitt Bad Doberan – Reddelich der Wind günstig stand und uns viel Arbeit abnahm. Hinter Reddelich in einer Hohlstrecke - die Hänge waren ca. 4 - 5 m hoch - war auf einer Länge von ca. 300m der gesamte Bereich zugeweht. Der entgegenkommende Schneepflug donnert dort hinein und wurde aus den Gleisen gehoben. Es blieb uns nur übrig, diesen Bereich abzutragen. Erst wollten wir uns von oben nach unten durcharbeiten. Aber dieses Vorhaben haben wir ganz schnell vergessen, da eine Hochspannungs - Freileitung über die Gleisanlage führte und zwischen Schneewehe und Leitung nicht mehr viel Platz war. Bis zum Abend haben wir geschaufelt, dann bezogen wir wieder Stellung auf dem Bahnhof. Es wurde schwere Technik eingesetzt und der Schneepflug wieder auf die Schiene gesetzt. Wir blieben dann noch 2 Tage auf dem Bahnhof.

Die anderen Arbeitskommandos bestanden hauptsächlich aus Fahrzeuge, die mit Sold. / Uffz. besetzt waren und sich zu den eingeschlossenen Dörfern durchschlugen, um die Bevölkerung mit den Notwendigsten zu versorgen.

Gleichzeitig, trotz aller Aufgaben der Katatrophenbewältigung, musste die Gefechtsbereitschaft aufrecht gehalten werden. D.h., die Technik und die Zufahrtswege mussten schneegeräumt sein. Der Personalbestand der SB löste diese Aufgaben rund um die Uhr. Es waren Tage höchster Anstrengungen für uns alle, vom Soldaten bis zum Kommandeur unserer Abteilung ...

So gibt es noch viele Dinge, die von den Armeeangehörigen abverlangt wurden und die außerhalb jeder Norm waren. Wenn ich daran denke, welche Schwierigkeiten die Bewältigung der Winter - Feldlager uns brachten oder die Inspektionen durch das MfNV, aber man kann sagen, durch eine umsichtige Führung seitens unserer Vorgesetzten und vorallem durch die hohe Einsatzbereitschaft aller Sold. / Uffz. / Offz. haben wir auch diese Aufgaben immer erfüllt ... " - Fortsetzung folgt.

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