Montag, 31. Oktober 2011

Aus der Geschichte der Stadt Barth




Vorbemerkung:
Zuerst eine Entschuldigung. Angedacht ist, immer einmal pro Monat einen Beitrag auf unserer Seite SANITZ zu veröffentlichen. Entweder zur Reihe "Aus der Geschichte der 43.Fla-Raketenbrigade "Erich Weinert" oder zu unserem Projekt Ausstellung "50 Jahre Garnisonsort Sanitz" bzw. zum Stand der Vorbereitungen zur Ausgabe eines Buches über die 43.FRBr oder zu den Tagen der offenen Tür im TRADI in Sanitz usw. Wir haben es nicht geschafft. Zwar hatten wir geahnt, dass es viel Arbeit machen wird, aber das Projekt Buch nimmt uns voll in seine "Arme"! Der heutige Beitrag soll die Serie "Aus der Geschichte der Stadt Barth" fortsetzen. Der Major a. D. Karl Pirl aus der ehemaligen Fla-Raketenabteilung 4322 hatte im Stadtarchiv Barth zu dem Thema recherchiert. Hier aus seinen unveröffentlichten Aufzeichnungen:

" Ihrer Bewacher ledig, übernahmen Oberst Hubert Zemke (USAAF) und Group Captain Cecil T. Weir (RAF) die Führung des Lagers. Der von ihnen am 01. Mai ausgesandte Spähtrupp kehrte schon einen Tag später, am 02. Mai, mit dem sowjetischen Leutnant Karmyzoff von Löbnitz zurück.In einer bemerkenswerten Aktion werden alle ehemaligen Kriegsgefangenen im Zeitraum vom 12. bis 14. Mai 1945 durch die 8. Luftarmee der US Air Force vom Fliegerhorst Barth nach Großbritannien und Frankreich ausgeflogen. Die US-Amerikaner und Canadier setzen von Le Havre aus ihre Heimreise per Schiff fort. Mit dem letzten Flugzeug verließen Oberst Zemke und Captain Weir Barth. Interessant hier folgendes: Stalin hatte festgelegt, dass diese ehemaligen Kriegsgefangenen erst ausgeflogen werden sollten, wenn die Bestätigung der West-Allierten zur Übergabe der von ihnen gefangenen Wlassow-Soldaten an die sowjetische Seite vorliegen würde. Oberst Zemke und die Amerikaner warteten aber nicht auf die Freigabe aus Moskau, sondern organisierten zügig den Abflug der ehemaligen Häftlinge von Stalag Luft 1. Nach diesem politischen Tauziehen verlief die "operation Revival" ohne technische Probleme. Unmittelbar an der Abflugstelle auf dem Flugplatz befand sich eine Fertigungsstätte für das neuentwickelte einstrahlige deutsche Jagdflugzeuges He 162. Die sowjetischen Offiziere achteten darauf, dass dieser Bereich nicht von den amerikanischen und englischen Verbündeten betreten bzw. fotografiert wurde. Nun war man von sowjetischer Seite aus bestrebt, so schnell wie möglich die Rückführung zu ermöglichen.

In Barth gab es, wie bereits ausgeführt, noch Außenlager des KZ Ravensbrück. Es war errichtet worden für die Zwangsarbeit für das sogenannte "Müller"-Werk, einer Produktionsstätte der Heinkel-Flugzeugwerke. Nach der Bombardierung und teilweisen Zerstörung des Stammwerkes in Rostock im Jahre 1942 wurden Produktionsstätten ausgelagert und Betriebsteile dezentralisiert. Der erste Transport von Häftlingen erreichte das spätere Lager auf dem Gelände des Fliegerhorstes am 09.November 1943. Drei Luftwaffenkasernen mit den Nr. 14-16 waren für männliche Häftlinge eingerichtet worden und drei weitere Gebäude mit den laufenden Nr. 11-13 für Frauen. Dazu ein Küchentrakt, das ganze mit dreifachen Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgeben. Ca. 1.500 KZ-Häftlinge waren ständig in der Produktion von Flugzeugen eingesetzt und mußten dort schuften. Da eine hohe Sterblichkeitsrate besonders im Frauenlager herrschte, wurden in mehreren Transporten regelmäßig weitere Häftlinge aus dem KZ nachgeführt. Schätzungsweise 6.000-7.000 Häftlinge insgesamt, davon überlebten ca. 2.000 Gefangene durch Ausbeutung, Hunger, Krankeit und SS-Terror nicht. Am 16. April 1945 begann die Rote Armee ihre große Offensive an Oder und Neiße. Die oben im Norden operierende 2. Belorussische Front unter Rokossowski konnte nach heftigen deutschen Abwehrkämpfen am 20.04. südlich von Stettin über die Untere Oder durchbrechen. In Barth begann die SS-Wachmannschaft, die ersten Marschkolonnen für die Verlegung der KZ-Häftlinge zusammenzustellen. Am 29./30. April begannen die ersten Märsche Richtung Rostock. Am 01.Mai Nachmittags bereits besetzten sowjetische Truppen in Rostock das Stammwerk der Heinkel-Flugzeugwerke. Stralsund war ebenfalls erreicht worden und die Befreiung der KZ-Häftlinge in Barth stand unmittelbar bevor. Der 01. Mai in Barth war es recht kühl und unfreundlich. Die Nachricht von der Evakuierung des KZ war bereits wie ein Lauffeuer durch die Stadt gegangen. Seit den frühen Morgenstunden war wieder zu beobachten, wie die Gefangenen beiderlei Geschlechts durch die SS-Leute eiligst zusammengetrieben wurden. In einzelnen Gruppen an der Hauptstraße aufgestellt, verließen sie in Eilmärschen Barth in Richtung Löbnitz! Wer zu schwach war und nicht mithalten konnte, wurde erschossen. Dutzende ermordete Häftlinge lagen an den Straßenrändern, sie überlebten diese letzten Strapazen nicht mehr. 15 km vor Rostock erreichten sowjetische Truppen die Marschblöcke, die sich zumeist schon aufgelöst hatten, da ihre Bewacher kurz vorher sie ihrem Schicksal überlassen hatten und geflüchtet waren. In Barth zogen dann am 02. Mai 1945 sowjetische Einheiten ein.Mit der Kapitulation Deutschlands endete die Garnison Barth. Das Stadtbild wurde in den Folgejahren dennoch von Uniformen geprägt, von sowjetischen.Nach dem die Gebäude und Anlagen des Fliegerhorstes, der Flak-Kaserne und des Rüstungsbetriebes Pommerschen Industriewerke gesprengt waren, verließen diese Soldaten 1949 die Stadt Barth." - Fortsetzung folgt!




Sonntag, 30. Oktober 2011

JAG-10

Zwischenzeitlich wurden die Informationen zum Jagdfliegerausbildungsgeschwader 10 (1956 - 1963) immer zahlreicher. Insbesondere mit Hilfe von Dr. Hans Rost wurden einige unklare und falsche Informationen korrigiert.

Offenbar wurden Angaben zum ersten Kommandeur der Fliegerschule, Major Josef Zieris, zu einer regelrechten Verschwörungstheorie uminterpretiert und in einem renomierten Flugzeugforum zumindest angedeutet. Danach soll Horst Schöll, ehemaliger Chef Fallschirm / Rettungsdienst der NVA, von dem Ausscheiden Zieris im dritten Band seiner Memoiren "Kameradschaft am Fallschirm" berichtetet haben. Herr Schöll war zu Zieris Zeiten der Offizier FRD der Fliegerschule (erster Sprung-Lehrgang) und damals als verantwortlicher Offizier im Schulkommando. Demnach sei Zieris 1957 kurzfristig abgelöst und entlassen wurde. Lehweß-Litzmann hätte die Aufgabe innerhalb weniger Tage übernommen.

Nach meinem Kenntnisstand war die Ablösung von Zieris als Kommandeur der Fliegerschule durch Oberst Wilpert oder Oberst Lehweß-Litzmann wegen der umfassenderen und komplizierten Aufgaben in der Fliegerei bereits länger angedacht, wurde nur nicht entschieden, weil Keßler und Wilpert zum Studium in Moskau waren.

Major Zieris wurde Ende 1956 / Anfang 1957 in die Reserve versetzt und war später im zivilen Bereich als Produktionsleiter tätig.

Ich finde es immer wieder "spannend" und "vielsagend", wie - entsprechenden Willen vorausgesetzt - aus "allem und jedem" negativer "Honig gesaugt" und herabgewürdigt werden kann. Hier jedenfalls die Chronik des JAG-10:


Montag, 24. Oktober 2011

Dresden - Militärhistorisches Museum der Bundeswehr

Bekanntlich eröffnete das Militärhistorisches Museum der Bundeswehr in den letzten Tagen an der Stelle des ehemaligen Armee-Museums Dresden wieder seine Pforten. Da ich es auf meiner "Museums-Seite" aufgelistet habe, bekam ich im prompt von der Pressestelle eine E-Mail mit der Bitte um Korrektur.

Dem bin ich natürlich gern nachgekommen :-)
http://home.snafu.de/veith/museen.htm

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Libyen - Der Krieg ist vorbei!?

So werden Kriege entschieden:

Da reist die Außenministerin der einen Kriegspartei in den eroberten Teil Libyens und schon fällt die letzte Bastion der Regierungstruppen und der Staatschef ist tot ... oder so ähnlich.

Die mächtigste Kriegsmaschenerie, die die Welt jemals gesehen hat, führt seit rd. 7 Monaten Krieg gegen ein Wüstenvolk und die wollen sich einfach nicht ergeben. Also wurde bereits Ende August 2011 der Sieg verkünde, um dann festzustellen, ooops, war wohl doch nichts.

Nun meldete also die Nachrichtenagentur AFP heute, den 20. Oktober 2011, geg. 13.30 Uhr: »Die Truppen der neuen Führung in Libyen haben nach eigenen Angaben die letzte Hochburg von Ex-Machthaber Muammar el Gaddafi weitgehend eingenommen. Die Stadt Sirte sei "fast befreit", sagte der Militärsprecher der Übergangsrates, Abedel Rahman Busen, der Nachrichtenagentur AFP. Es gebe noch einige "Auseinandersetzungen niedriger Intensität".« Prompt melden unsere Qualitätsmedien »„Sirte ist befreit. Es gibt hier keine Gaddafi-Truppen mehr“, sagte Oberst Junus al-Abdali. Man jage nun flüchtige Kämpfer. Auch ein anderer Kommandant bestätigte, dass sich die Heimatstadt Gaddafis an der libyschen Küste in der Hand der Truppen der Übergangsregierung befinde.« Ah'ja.

Da sich dort "bekanntlich" Gaddafi befinde, stellte sich zwangsläufig die Frage nach dem Verbleib. Folglich kommt fast zeitgleich die Antwort auf diese spannende Frage: »Der libysche Ex-Machthaber Muammar al-Gaddafi wurden offenbar in Sirte festgenommen. Das berichtet der arabische Fernsehsender Al-Dschasira, unter Berufung auf einen Sprecher des Nationalen Übergangsrates. Bei seiner Festnahme wurde ihm offenbar ins Bein geschossen.« Er habe in "einem Loch in Sirte" gesteckt und "Nicht schießen, nicht schießen" gerufen, »berichtete ein Kämpfer der Übergangsregierung«. Und: »Einer der leitenden Kommandeure sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Er wurde festgenommen. Er ist schwer verletzt, aber er atmet noch". Gaddafi soll zum Zeitpunkt seiner Festnahme eine kakifarbene Uniform getragen haben.« Bereits 10 Minute später ist er angeblich tot. Man wisse noch nicht ob durch Kopfschuß oder NATO-Bomben in einem Auto getötet. Ah'ja.

Egal, ob er wirklich der Tote ist oder irgend ein anderes armes Schwein abgeknallt wurde und nun eine zügige "Seebestattung" bekommt, ein peinlicher "Prozeß" bleibt den Aggressoren "erspart". Wie heißt es so schön: »Erfolge müssen organisiert werden!«

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Nachruf


















Am 09. Oktober 2011 verstarb der langjährige Stabschef der 43.Fla-Raketenbrigade "Erich Weinert", unser alter Kampfgefährte, Genosse, Freund und Mitstreiter Oberstleutnant a.D. Rolf Thiele im Alter von 79 Jahren. Ein pragmatischer, verständnisvoller und humorvoller Vorgesetzter und Mensch, der seiner Gesinnung bis zuletzt treu geblieben ist. Sein Weg zum Offizier begann am 28.August 1949 auf der VP-Schule Zittau, führte über die VP-Bereitschaft Leipzig zur Kasernierten Volkspolizei Oranienburg, zur NVA und zur Flak-Artillerieschule Geltow. 1961 weilte er mit Offiziersschülern in Sanitz bei Rostock, um das Gelände für den zukünftigen Standort des Fla-Raketenregiments 18 vorzubereiten, ohne zu ahnen, dass er 1966 Stabschef dieses Regiments werden sollte. Diese Funktion übte Oberstleutnant a.D. Rolf Thiele bis zu seinem Ausscheiden aus der NVA nach 28 Dienstjahren am 31.Januar 1980 aus. Im anschließendem zivilen Arbeitsbereich war er im VEB Erdöl Grimmen und im KfL Sanitz tätig. Er engagierte sich gesellschaftlich als Mitglied der Gemeindevertretung Sanitz und als Vorsitzender des Finanzausschusses. Die Unterstützung unseres Projektes "50 Jahre Garnisonsort Sanitz" war für ihn ein Bedürfnis. Auch die Mitglieder der örtlichen Basisorganisation der Partei Die Linke werden ihn vermissen.

Wir möchten seiner Familie unsere Anteilnahme und unser aufrichtiges Beileid aussprechen. Alle Ehemaligen, die ihn kannten oder mit ihm zu tun hatten, werden ihn nicht vergessen, unseren "väterlichen" Freund Rolf Thiele!

Bernd Kirchhainer
Projektgruppe "50 Jahre Garnisonsort Sanitz"

Sonntag, 9. Oktober 2011

Typenkompass - Transporter und Hubschrauber der NVA

Die Reihe "Typenkompass" bietet "Basiswissen für Luftfahrtfreunde": Von der AN-2 bis zur Tu-154M, von der Mi-1 bis zur Mi-24P wird dieses Heft dem Anspruch gerecht! Natürlich durfte auch das "Divisionsmodep" Z-43 und Produkte der LET - Aircraft nicht fehlen

Die Broschüre des Motorbuchverlages, mit dem Titel "Transporter und Hubschrauber der NVA" bietet seit kurzem zum kleinen Preis kompakt alles Wissenswerte über die Hubschrauber, Transport-, Verbindungs- und Passagierflugzeuge der NVA. Es brilliert jeweils mit taktisch - technischen Angaben, kurzen geschichtlichen Abriß des Einsatzes des maschinentyps in der NVA sowie "vorher / nachher" - Fotos vom Einsatz und aus Museen.

Der Autor, Michael Normann, hatte in der Vergangenheit nicht nur in Artikeln der Fliegerevue, sondern auch erst unlängst mit "Kampfflugzeuge der NVA: 1956-1990" sein Können unter Beweis gestellt. Was auch nicht verwundert, hat er doch selbst in der NVA in einer Hubschraubereinheit gedient :-)

Broschiert: 128 Seiten
Verlag: Motorbuch Verlag; Auflage: 1 (30. September 2011)
ISBN-10: 3613033364
Größe und/oder Gewicht: 20,8 x 14,8 x 1 cm

Bestellmöglichkeit bei amazon.de:
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3613033364/

Montag, 3. Oktober 2011

Kanonier Nr. 52


Die Sonderausgabe des "Kanonier" zum 11. Familientreffen der Gemeinschaft der 13er des FRR-13 bricht aktuell alle Rekorde.

Die Ausgabe wurde in den letzten zwei Monaten (September und Oktober 2011) 11.097 mal heruntergeladen, d.h. rd. 185 mal pro Tag. Die Datei hat aufgrund der Fotos eine Größe von rd. 7,5 MB, was einen entsprechende Traffic beim Server verursachte.

Das Interesse ist offenbar groß ... und es hat sich auch niemand einen "Scherz" gemacht, hier von den Top-100-Zugriffen des Monats September 2011:

Sonntag, 2. Oktober 2011

Ältere Ausgaben des Kanonier

Nunmehr stehen auch ältere Ausgaben des "Kanonier", der Verbandszeitschrift der Gemeinschaft der 13er, zum Download zur Verfügung:

http://home.snafu.de/veith/kanonier.htm

Konkret handelt es sich um die Ausgaben Nr. 16 (1/2002) bis Nr. 21 (3/2003). Nebenbei habe ich diesen Download-Bereich etwas übersichtlicher gestaltet. Siehe übrigens auch:

    Treffen FRA-312

    Am 13. und 14. Mai 2011 fand in Brieske bei Senftenberg das 3. Familientreffen ehemaliger Angehöriger der FRA-312 und Bewohner der Tiergartensiedlung statt. Es kamen über 60 Ehemalige mit ihren Ehefrauen, also über 110 Personen, zur Veranstaltung zusammen.

    In den Gespräche kam auch zum Ausdruck, dass eine sehr gut ausgebildete Truppe in den fast 30 Jahren des Bestehens von Truppen dieser Waffengattung ihre verantwortungsvollen Aufgaben stets mit hoher Einsatzbereitschaft und Können erfüllt hat und das dabei die Ehefrauen der Berufssoldaten und Offiziere einen nicht unwesentlichen Anteil hatten, denn ihr Verständnis für den Dienst ihrer Männer wurde vielmals vorausgesetzt.

    Informationen zur FRA-312, die bereits Anfang der 1960er als FRA-142 formiert wurde, und dem Kameradentreffen im Jahr 2011 finden sich hier:
    http://home.snafu.de/veith/fra-312.htm

    Samstag, 1. Oktober 2011

    Der Staat gegen Asoziale

    Ich habe keine Ahnung, wie die BRD - Behörden in den letzten Jahren die "alternativen" Jugendlichen mit ihren Kampfhunden von der Straße bekommen haben, wie das Straßenmusikantenunwesen zivilisiert wurde ... und die Trinker vor der Kaufhalle sind auch selten geworden. Menschen, die von gesellschaftlichen Normen abweichen, wurden früher nicht nur abwertend sondern auch offitziell als "Asoziale" bezeichnet. Heute gilt der Begriff nicht mehr als politisch korrekt und wird vermieden. Da ich "Penner", "Proll" oder - jüngst immer öfter gehört - "Hartzer" nicht besser finde, bleibe ich mal im folgenden bei dem Begriff "asozial".

    Die BRD hat ihre Assozialen bis 1974 und die DDR bis 1979 mit Repressalien versucht in den Griff zu bekommen. Anschließend wurde die Methoden geändert.

    Der erste Absatz des einschlägigen Paragraphen 249 des StGB - DDR "Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten" lautete bis 1979 wie folgt: »Wer das gesellschaftliche Zusammenleben der Bürger oder die öffentliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er sich aus Arbeitsscheu einer geregelten Arbeit hartnäckig entzieht, obwohl er arbeitsfähig ist, oder wer der Prostitution nachgeht oder wer sich auf ändere unlautere Weise Mittel zum Unterhalt verschafft, wird mit Verurteilung auf Bewährung oder mit Haftstrafe, Arbeitserziehung oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Zusätzlich kann auf Aufenthaltsbeschränkung und auf staatliche Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt werden.«

    Der "Strafrechtspapst" der DDR, Erich Buchholz, nach 1990 dazu: »Zu den bedenklichen Vorschriften des DDR-StGB gehörte § 249, die Bestimmung gegen sogenannte kri­minelle Asozialität; das Gesetz nannte dieses Delikt „Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Si­cherheit durch asoziales Verhalten“.

    Diese Vorschrift ging letztlich auf Chrustschows Ver­suche, dem „Parasitentum“, der „Arbeitsscheu“ mit administrativen Mitteln bzw. mit Mitteln des Straf­rechts Herr zu werden, zurück. Auch in der DDR unterlagen maßgebliche Stellen zu lange diesem Irrglauben. Aber, wie zunehmend klarer wurde, ein derartiges komplexes soziales Phänomen, wie Asozialität oder Dissozialität, läßt sich nicht mittels Strafrecht be­kämpfen oder überwinden.

    Zeitweise umfaßten die Straftaten nach § 249 StGB/DDR fast ein Drittel der festgestellten Gesamtkriminalität der DDR, zumal die betreffenden Perso­nen auch dank der rigorosen, die Möglichkeiten der Strafe überschätzenden Rückfallvorschriften regelmä­ßig im Sinne dieser Vorschrift alsbald wieder straffäl­lig wurden. Besonders bedenklich und bedrückend war, daß diese Vorschrift des § 249 StGB/DDR auch gegen nicht wenige Jugendliche angewandt wurde.

    In diesen Zusammenhang gehört auch die Vorschrift über die Aufenthaltsbeschränkung (§§ 51, 52 StGB), die ursprünglich Konzentrationen von kriminellen Personen (z. B. in Großstädten) entgegenwirken soll­te, dann aber besonders dadurch besonders bedenklich wurde, daß es auch zulässig wurde, den Aufenthalt in bestimmten Orten oder Gebieten anzuweisen, also eine bestimmte Art von Freiheitsbeschränkung auszu­sprechen« (Quelle; offline)

    Mit Gesetz vom 28. Juni 1979 wurde in o.g. Paragraphen eine zusätzliche Bedingung für die Strafbarkeit, die Worte "und Sicherheit" eingefügt. Damit war der Paragraph "zahnlos". Die Beeinträchtigung der "öffentlichen Ordnung" nachzuweisen, war vergleichsweise "einfach", aber zusätzlich die "Sicherheit" durch Arbeitsscheuheit, war wohl nur in den seltesten und krassesten Fällen möglich. Herr Buchholz dazu: »Aufgrund entsprechender wissenschaftlicher Arbeiten sowie der zunehmend differenzierteren Rechtsprechung des Obersten Gerichts gelang es in den 80er Jahren, den Anteil der nach dieser Bestimmung verfolgten Jugendlichen fast auf Null zu reduzieren. Auch wurden erfolgversprechende Ansätze sozial und sozialpsychologisch orientierter Arbeit, so u. a. in Gestalt "besonderer Brigaden" und "geschützten Woh­nens" in Angriff genommen.«

    Endgültig wurde diese Vorschrift durch den Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik und nochmals ("sicher ist sicher" ;-)) durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Juni 1990 (GBl-DDR I S. 526) gestrichen.

    Aber auch in der BRD galten häufiger »Stellenwechsel oder Renitenz gegen die Obrigkeit ... als Kennzeichen für arbeitsscheu und waren ein Symptom für Verwahrlosung. Kam die FürsorgerIn zu der Einschätzung, dass die Betroffene sich der Ordnung widersetzte, standen härtere Maßnahmen zur Verfügung wie z.B. der Freiheitsentzug. Erst 1974 wurden diese Paragraphen aus dem Bundessozialhilfegesetz gestrichen.« Einschlägige Rechtsvorschriften der BRD waren damals § 26 BSGH (ehem. § 20 Reichsfürsorgeverordnung = Unterbringung Arbeitsscheuer) und § 73 BSHG (Unterbringung Gefährdeter) und § 42 d StGB (Arbeitshaus).

    Im Detail zu § 73 BSHG: Eine "Hilfe für Gefährdete" sollte diese zu einem geordneten Leben hinführen, insbesondere an regelmäßige Arbeit und erforderlichenfalls an Seßhaftigkeit gewöhnen. Nach § 73 Abs. 2 BSHG konnten Verstockte von einem Gericht auf unbestimmte Zeit in eine Anstalt eingewiesen werden, wenn diese besonders willensschwach oder in seinem Triebleben besonders hemmungslos und verwahrlost oder der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt waren und die Hilfe nur in einer Anstalt wirksam gewährt werden könne.

    Perfide finde ich hier, daß Auslöser für die Zwangsunterbringung lediglich die Armut der Betroffenen war. "Schon" 1967 wurde dieser Paragraph als verfassungswidrig erklärt, vgl.:
    http://www.hartzkampagne.de/urteile/x_22_180.htm

    Im Jahr 1969 fiel dann der § 42 d StGB. »Alle Varianten der zwangsweisen Arbeitshaus- bzw. Anstaltsunterbringung gegenüber sozialen Außenseitern verschwanden in den Jahren 1967 bis 1974 aus dem bundesdeutschen Straf- bzw. Fürsorgerecht, also in sozialgeschichtlich recht kurzer Zeit. Inwieweit die Abschaffung der strafrechtlichen, der fürsorgerechtlichen Arbeitshausunterbringung und der „Bewahrung“ des BSHG in einem inneren Zusammenhang zu sehen sind bzw. sich gegenseitig beeinflussten, ist bislang allerdings noch nicht erforscht« (Quelle).

    Nur am Rande, es galt auch der § 1838 BGB, der in dieser Form erst 1991 abgeschaft wurde.

    Mein Fazit:
    Bis in die 1970er gab es im Umgang mit Asozialität in beiden deutschen Staaten eine repressive Komponente. Der Unterschied: Während in der BRD tatsächlich Armut der Auslöser für staatliches Handeln über das Bundessozialhilfegesetz war, war es in der DDR - vorsichtig formuliert - die alternative Jugend- Trinkkultur, soweit die öffentliche Ordnung gefährdert wurde.