Vorbemerkung:
Die oben aufgeführte DVD "Aus der Geschichte der 43.Fla-Rakentenbrigade 'Erich Weinert'" wird ebenfalls im August rechtzeitig zur Eröffnung der Ausstellung am 01.09.2012 in Sanitz erscheinen! In der DVD gibt es neben einer umfangreichen Dia-Show, Dokumenten zur Technik/Ausrüstung sowie den Ausstellungspostern des NVA-Teils der Ausstellung "50 Jahre Garnisonsort Sanitz" auch das bereits genannte Kapitel mit Erlebnisberichten von Ehemaligen, die eigentlich für das Mitte August diesen Jahres erscheinende Buch
"43.Fla-Raketenbrigade 'Erich Weinert'-Fakten und Geschichten"
vorgesehen waren, aber den Umfang des Buches gesprengt hätten. Dieter Bertuch
im Teil IV seiner Erlebnisse von 1962:
" ... In Ulan-Ude lohnten sich Besuche des Hauses
der Erholung, eines schönen Stadtparks, der Wälder vor der Stadt, vor allem
aber Theaterbesuche im „Burjatisches Theater für Oper und Ballett“. Das Theater
war ein Prachtbau aus der Stalin-Zeit. Wunderbare Theater- und Ballettabende
mit der damals sehr bekannten Tänzerin und Verdienten Künstlerin der RSFSR
Saineeva konnte ich erleben. Die Opern „Fürst Igor", „Eugen Onegin",
„Tschio tschio san", „Ovod", die Operetten „Zigeunerblut" und
„Geschichten aus dem Wiener Wald" sowie das bezaubernde Ballett
„Schwanensee" gehörten zu den großen Kunstgenüssen. Schmunzelnd konnten
wir erleben, dass die Wiener Mädchen, aber auch Odette, von den schlitzäugigen
burjatischen Künstlerinnen dargestellt wurden. Das schmälerte nicht deren
beachtliche Leistungen. Spaßhaft nannten wir sie „Omule", nach einem
schmackhaften Fisch aus dem Baikalsee. Beim Ballett „Schwanensee" hatte
der Bühnenarbeiter einen Bestandteil der zauberhaften Kulisse, den Balkon, von
dem aus der Prinz den Tanz der jungen Schwäne beobachtete, nicht fest genug
anbringen lassen. Bei der Szene brach der Balkon aus seiner Halterung. Mit ihm
stürzte der Prinz in die Tiefe. Nach wenigen Minuten konnte der leicht lädierte
Prinz ebenerdig weiter machen. So was gehörte bei aller Kunst irgendwie dazu.
In „Ovod" fiel ein offenbar betrunkener männlicher Theatergast vom ersten
Balkon in das Parterre und brach sich dabei das Genick. Er wurde aus dem Saal
getragen. Die Vorstellungsunterbrechung dauerte eine knappe halbe Stunde. Dann
ging das Spektakel weiter als ob nichts geschehen wäre.
Vor der Großstadt
Ulan-Ude befanden sich in herrlicher Natur Ausflugs- und Erholungsziele für die
Einwohner der Stadt, welche auch öffentlich benutzt werden durften. Datschen,
Waldstücke mit einem großen Pilz- und Beerenreichtum, Tanzflächen, Spiel- und
Sportplätze, ein Pferdehof und anderes ergänzten das Gebiet zu einem sehr
schönen Objekt. Auf einer Tanzfläche wollte mir ein junges, hübsches
Russenmädel den „neuen sowjetischen Tanz Charleston" beibringen, wenn ich
ihr als Gegenleistung den „DDR- Lipsi“ lehren könne. Ich erklärte ihr, woher
der Charleston entstanden sei und dass er auch schon lange getanzt werde. Wir
beendeten den Tanzkontakt, als sie daraufhin etwas beleidigt reagierte. Ebenfalls
vor der Stadt befand sich der Flugplatz, der die Strecke Ulan- Ude- Irkutsk
bediente und nicht nur menschliche Passagiere, sondern auch Schafe und anderes
Getier verfrachtete. Im Restaurant konnte man relativ gut europäisch, aber auch
teuer speisen. Hier wurde das Hochzeitsglück zwischen dem Dolmetscher der
Gruppe Technische Abteilung, Helmut Schneider aus Meiningen und seiner Galja,
einer bildhübschen Burjatrussin sowie von Wolfgang Metzler aus meiner Gruppe
mit Tina, einer echten Burjatin geschmiedet. Eine schöne Hochzeitsfeier, wenn
auch in bescheidenen Verhältnissen. Beide Bräute trugen geschmackvolle Kleider
und Brautsträuße aus herrlichen Wiesenblumen, aussehend wie Orchideen und von
den Bräutigamen selbst gepflückt. An einem Wochenende im Juli luden uns die
sowjetischen Gastgeber zu einer Omnibusfahrt an den Baikalsee ein. Diese nahmen
wir sehr erfreut an. Mit vier Militärbussen fuhren wir, einschließlich der
bulgarischen und koreanischen Freunde durch die Taiga bis zu einer
Übersetzstelle über die Selenga, einer uns nicht ungefährlich anmutenden
Fährpassage. Dort fuhren die Busse auf eine floßähnliche Fähre. Wir setzten
oder hockten uns ebenfalls darauf und erreichten etwas ängstlich das andere
Ufer. Durch zwei Taigadörfchen, in denen wir rasteten und fotografierten,
fuhren wir weiter zu einem kleineren See vor dem herrlichen Baikal. Das war ein
nur halstiefes, aber sehr fischreiches Gewässer. Die Bulgaren und wir angelten,
lediglich mit einer Schnur und mit Fischaugen als Köder. Unvorstellbar erfolgreich
waren die Fänge, Grundlage für unsere am Abend zubereitete Fischsuppe, für die
„Ucha". Unsere beiden verantwortlichen Lehrer und der alte „Ritschratsch“
waren Spezialisten. Sie sammelten Kräuter in der Taiga. Die Suppe schmeckte
vorzüglich. Am Lagerfeuer mit Wodka und Wein verbrachten wir die Nacht. Früh am
Morgen, noch etwas übermüdet, ging es die wenigen Kilometer weiter bis zum
Baikalsee, zu Idyllen am heiligen Meer. Viel zu beschreiben gibt es nicht, weil
ich nicht weiß, wo ich anfangen und wo ich aufhören sollte. Ein
„phantastisch" soll genügen. Am späten Abend erreichten wir wieder
„Garnisonaja“. Ein unvergessliches Erlebnis war uns geschenkt worden, eines,
was damals nicht jeder haben konnte.
Als der stramme Winter 1962 zu Ende ging
bzw. viel milder wurde, die Natur dem Frühling Platz machte, trug ich im
Ausgang Zivil. Eine enge schwarze Hose, ein schönes Sakko sowie ein im
„Univermag“ gekaufter chinesischer Gabardinemantel, erschwinglich im Preis,
machten mich flott. Ich fiel nicht nur durch meine Kleidung auf, sondern auch
durch meine damals rotblonden Haare und den blassen Teint. Der Sprache nach
ordneten mich die Einheimischen zunächst als Sowjetbürger aus den baltischen
Unionsrepubliken ein. Wenn es nicht zu verräterisch wurde, ließ ich diese
zumeist in diesem Glauben. Manchmal war es besser, sich nicht sofort als
Deutscher erkennen zu geben. Selbst im fernen Ula- Ude war der Angriffskrieg
Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion noch nicht vergessen. Es konnte aber
auch vorkommen, dass ein herzliches „Rot Front” ertönte, wenn man die
Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik offenbarte. Die Grüße
„Heil Hitler" und die Rufe „SS" und „Faschist" mussten wir auch
anhören, wenn auch nur selten. Meist trugen mehr oder minder objektiv gedrehte
Filme dazu bei. Zu dritt machten wir den Fehler, uniformiert in ein Kino zu
gehen, um den Film „Unsterbliche Festung Brest" anzusehen. Ich war froh,
wieder gesund in der Garnison angekommen zu sein! Allein hätten wir es
wahrscheinlich nicht geschafft. Ungeschminkt und an Hand von
Dokumentaraufnahmen wurden schlimme Verbrechen der deutschen Wehrmacht gezeigt.
Unsere eigene Uniform erinnerte in Farbe und Schnitt fatal an die
Wehrmachtsuniform. Ein Besuch einer Kulturveranstaltung im Klub des Glaswerkes
Ulan-Ude brachte uns ein unschönes Ende. Wir waren zu fünft, darunter unser
Major Ulrich Grell. Während viele Mädchen versuchten, mit uns in Kontakt zu
kommen, wurden wir von Männern sehr argwöhnisch beäugt und häufig wie
versehentlich gerempelt. Kurz vor Schluss des Abends betrat eine Patrouille von
Ordnungskräften den Saal. Das war gut. Als Grell zur Toilette ging, standen
zwei Burschen mit gezücktem Messer hinter ihm und sprachen drohend: „Major ist
noch mehr als SS- Unterscharführer, weißt Du, wie man schlachtet ein
Schwein?" „Ed“ Waldner und ich, vor allem aber die Ordnungskräfte
verhinderten eine schlimmere Begebenheit. Der Leiter der Patrouille bat uns,
diesen Klub doch künftig zu meiden. Ulan-Ude hatte damals nicht
nur den Ruf einer bedeutenden Industriestadt im Fernen Osten der UdSSR, sie war
auch auf Grund der hier befindlichen wichtigen Rüstungsbetriebe eine sogenannte
geschlossene Stadt. Im Glaswerk wurden Spezialgläser für Flugzeuge und Panzer
gefertigt. Wahrscheinlich gab es auch ein größeres Panzerwerk und andere
Betriebe, die der strengsten Geheimhaltung unterlagen.
Unsere russischen und
burjatischen Gastgeber kümmerten sich gut um uns. Wir erhielten für wenig Geld
zusätzlich Waren, die andere Bewohner, besonders die Bevölkerung, nicht oder
nur höchst selten kaufen konnten. Pfirsiche in Sirup ausländischer Erzeugung,
auch Rindfleisch in Dosen bereicherten unser Speiseangebot. Die offiziellen
Speisepläne in der „Stolovaja“ hatten meist Hammelfleisch oder Eiergerichte,
auch Würstchen im Angebot. Die Art der Zubereitung ärgerte uns öfters. Fast
alle Fleischgerichte waren boulettenähnlich, eben „rublenij", durch den
Wolf gedreht. Eine große Delikatesse war der Fisch Omul. Ob gekocht, eingelegt,
gebraten oder schinkenähnlich geräuchert, ich habe ihn in jeder Variante
genossen. Der Omul war nur hier im Baikalsee „zu Hause“, wurde tonnenweise
gefangen und verarbeitet. Ein Versuch, diesen wahren Leckerbissen im Baltischen
Meer anzusiedeln, war gescheitert. Der Omul brauchte das damals sehr saubere, trinkbare
Wasser des Baikals. Heute wird die Qualität des Baikalwassers leider auch nicht
mehr so sein. Das Warenangebot im großen Kaufhaus in der Stadtmitte sowie in
kleineren Geschäften war für die damaligen Verhältnisse recht gut. Die
notwenigen Lebensmittel gab es und auch mehr oder minder modische und
geschmackvolle Bekleidung Für uns ein großer Renner waren nahtlose
Damenstrümpfe Ein paar Mal schickte ich je einen Strumpf im Briefkuvert nach
Hause. Alles kam an und bereitete Freude, da es bei uns noch keine Massenware
war. Sehr verlockend war das billige und reiche Angebot an Goldwaren. Ich war
auf einen schönen Damenring scharf, aber auch auf solche ehemaligen
Luxusartikel wie eine Spiegelreflexkamera und einen Elektrorasierer. Das waren
teuere Engpässe in der DDR. Ich leistete mir diese Dinge. Den Rasierapparat
„Charkiv" konnte ich nur erstehen, wenn ich ihn in einer Geschenkpackung
mit 200 Gramm Kaviar für insgesamt dreißig Rubel kaufte. Bei uns und auch wenig
später in der Sowjetunion unvorstellbar. Die Verbindung zu den Lieben zu Hause
hielt ich durch fast tägliches Briefschreiben. Regelmäßig kamen auch die
Antworten an, auf einem etwa acht Tage andauernden Postweg. Zeitungen wurden
mir ebenfalls geschickt, so dass ich das Geschehen in der Heimat verfolgen
konnte. Besonders der Fußballsport hatte es mir angetan, auch wenn das
Geschehen natürlich mit Verzögerung bei uns ankam.
Gesundheitlich hatte ich
trotz der völlig anderen Bedingungen keine größeren Probleme. Zwei
diesbezügliche Episoden sind dennoch erzählenswert. Zu Beginn des Kurses wurden
wir mit einem so genannten Dreikomponenten-Serum geimpft, das bei den meisten
eine schon durch den Arzt angekündigte extreme Wirkung hatte. Fünf blieben „auf
den Beinen", darunter ich. Die anderen laborierten die vorhergesagten vier
Tage an starkem Unwohlsein. Wogegen wir geimpft wurden, weiß ich heute noch
nicht. Trotz meiner damaligen Robustheit wurde ich ein kleines Opfer des
medizinischen Dienstes in der Garnison. Mich plagten im tiefsten kalten Winter
heftige Zahnschmerzen. Dienstag und Donnerstag jeder Woche waren Sprechtage bei
einer Zahnärztin im „Santschast“, dem Med.-Punkt. Leider war mir bis dahin
nicht bekannt, dass am Dienstag generell die Zähne plombiert und am Donnerstag
nur extrahiert wurde. Ich ging beide Male jeweils donnerstags und verlor auf
diese Weise zwei Backenzähne. Zum Prozedere: ich musste mich auf eine Art
Küchenstuhl setzen, vor mir ein Zinkblecheimer, über mich gebeugt die stark
vermummte Ärztin mit Spritze und Zange. Hinter mir positionierte sich eine
ebenso vermummte, körperlich gut ausgestattete Schwester. Mein Kopf ruhte
zwischen ihren gewaltigen Busen, so dass ich nicht nach rechts oder links
ausweichen konnte. Mit viel Blut im Mund, welches fast gefror, überstand ich
diese Tortur! Die Abschlussprüfungen für unseren Kurs fanden Ende August statt.
Ich bestand sie mit einem soliden „Gut". Etwas Prüfungspech war zwar
dabei, denn die Wirkungsweise des Sechsschlüsselvervielfachers im System der
Kommandoerarbeitung der Raketenleitstation und der Zeitgenerator im System
Kommandosender bereiteten nicht nur mir ein paar Kopfschmerzen. Freudig, aber
auch ein wenig traurig fuhren, wir dann zurück Richtung Heimat. In Moskau
genehmigte man uns etwa anderthalb Tage der Erholung im Hotel „Ostankino".
Während unserer Rückfahrt erkrankte ich nach wenigen Zugkilometern an einer
fieberhaften Erkältung. Wenn es nach einem Offizier aus der Gruppe gegangen
wäre, hätte man mich bereits in Irkutsk aus dem Zug nehmen sollen, um in ein
Lazarett gebracht zu werden. Dieser Offizier dachte aber weniger an meine
Gesundheit, sondern an seine. Er war hypochondrisch veranlagt und fürchtete
eine Ansteckung, die seine Rückreise nach Hause beeinträchtigen könnte. Unser
Major Kresse verhinderte das. Über Zugfunk wurde in Irkutsk ein medizinisches
Team angefordert. Wenige Minuten nach Einfahrt der Transsib in den Irkutsker
Bahnhof kamen ein Arzt und zwei Schwestern in das Abteil, um nach mir zu sehen.
Sie maßen die Temperatur, fühlten Puls und maßen Blutdruck und versorgten mich
mit einer Spritze und Medikamenten. In Krasnojarsk und Nowosibirsk geschah
gleiches. In Moskau war ich wieder gesund. Alle anderen blieben es auch. Das
war ein tolles Erlebnis und erweckte in mir tiefe Dankbarkeit Heute noch
betrachte ich ab und zu ein Foto, welches mich nach überstandener Krankheit
schlank und blass im Gang des Waggons der Trassib zeigt. Nach meiner
erfolgreich verlaufenden Kursabschlussprüfung in Ulan-Ude besaß ich die
Qualifikation für die Dienststellung eines Kompaniechefs der Funktechnischen
Kompanie einer Feuerabteilung der Fla- Raketentruppen der Luftverteidigung.
Wenig später wurde in die Militärterminologie für diese taktische Einheit der
Fla- Raketentruppen die Bezeichnung Fla- Raketenabteilung eingeführt.
Welcher
Einsatzort war jetzt für mich vorgesehen? Klar war bereits, dass es mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht mehr Pinnow sein würde. Wieder kamen die Fragen nach
dem Wohin und ob es am neuen Standort ausreichend Wohnraum gibt. Inzwischen
wusste ich auch, dass eine Fla-Raketenabteilung sich nicht auf dem Marktplatz
einer großen Stadt befinden würde, sondern irgendwo im Wald, oft sehr weit
entfernt von einer Ortschaft. Ich hatte aber auch bereits erfahren, dass es
dabei große Unterschiede gab. Und zwar sowohl von der Landschaft und Umgebung
als auch rein geografisch. Ich wusste noch nicht, dass ich in meiner
dreiunddreißigjährigen Dienstzeit mindesten 8o Prozent aller Standorte mit
allen zivilen Vor- und Nachteilen kennen lernen durfte, ob als aktiv Handelnder
oder als Kontrolloffizier, Schiedsrichter, Beratender und Lehrer. Ich weiß,
dass für meine nach dem Kurs folgende langjährige erfolgreiche Dienstzeit in
den Fla- Raketentruppen der Luftverteidigung der DDR als Stabschef, Kommandeur,
im Kommandostab und als Lehrstuhlleiter an der Offiziershochschule ein stabiles
Fundament im sibirischen Ulan-Ude gelegt worden war. Das anspruchsvolle
Studium, aber auch die vielen Erlebnisse in der Freizeit mit einfachen
russischen und burjatischen Menschen, die herrliche Natur, der hautnah erlebte
Internationalismus und die Waffenbrüderschaft bleiben in tiefer und dankbarer
Erinnerung. Sie kann mir und den ehemaligen Mitstreitern nicht genommen
werden..." - Fortsetzung folgt!
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