Anläßlich des "55. Jahrestages" der Ereignisse vom 17. Juni 1953, im folgenden einige Überlegungen von mir, die sich vorwiegend mit den militärisch relevanten Handlungen beschäftigen.
Es wird heute gern übersehen, daß der "17. Juni 1953"
auch ein bewaffneter Aufstand war.
So wurden verschiedene Gefängnisse durch Bewaffnete mit Schußwaffeneinsatz gestürmt, bei den Ereignissen kamen lt. der "
getarnten Armee" unmittelbar 51 Menschen ums Leben. Darunter waren 7 Volkspolizisten und MfS-Angehörige (s.a. zur
Ermordung von Herrn Hagedorn; PDF) sowie mehrere "
Kollateralschäden" durch verirrte Kugeln. Die
offizielle Site:
17juni53.de nennt 55 Tote, darunter allerdings auch 5 in der Haft verstorbene, 1 Herzinfakt, 4 Selbstmörder. Weiterhin nennt die "
getarnten Armee" unter Berufung auf sowjetische Dokumente 8 Hingerichtete (6 standrechtliche Erschießungen durch die Sowjetarmee, sowie 2 Hinrichtungen durch die DDR). Damit wären "lediglich"
30 Aufständische und Unbeteiligte unmittelbar während dieser Ereignisse um ihr Leben gekommen oder ihren Verletzungen später erlegen. Dazu paßt auch der dort genannte sowjetische Bericht, der von 21 getöteten "Rebellen" ausgeht. Diese Zahl liegt sehr nah an den damals von der DDR offiziell genannten
25 Toten und klingt schon ganz anders, als die früher von der BRD offenbar frei fabulierten
507 Toten.
Politisch war der Zeitpunkt des Aufstandes klug gewählt:
Stalin war am 5. März 1953 verstorben und die Führung der UdSSR in einer "
Orientierungsphase". Diese scheinbare Schwäche sollte offensichtlich genutzt werden.
Was lief damals ab?
Die Aufständischen erstürmten am 17. Juni 1953 zielgerichtet, organisiert und mit großer Entschlossenheit staatliche Einrichtungen,
SED-Zentralen, Gefängnisse,
MfS-Dienststellen sowie
VP-Reviere und VPKAs. Eingenommen wurden u.a. 11 Kreisratsgebäude, 14 Bürgermeisterein, 7 Kreis- und eine Bezirksleitung der SED. Weiterhin wurden 9 Gefängnisse und 2 Dienstgebäude des MfS sowie 8 Polizeireviere, 4 VPKA und eine Dienststelle der BDVP erstürmt. Mehr als doppelt soviele Einrichtungen wurden bedrängt, die Besetzung jedoch verhindert. Es wurden in der Summe
weit mehr als 100 Einrichtungen der DDR "bedrängt" oder erstürmt. Allein in Berlin gab es dabei 46 verletzte Polizisten, davon 14 schwer, sowie Zerstörungen im Gesamtwert von über 500.000 Mark. Die Stromversorgung der Großberliner S-Bahn wurde abgeschaltet und der gesamte S-Bahn-Zugbetrieb
eingestellt. In Potsdam kam es zu einem Anschlag auf ein Erdkabel des Telefonnetzes der
KVP.
Grund für die Vielzahl der erfolgreichen Angriffe war - neben der Unterschätzung des Ausmaßes des Aufstandes - der strikte Befehl, die Waffe nur bei Bedrohung des eigenen Lebens einzusetzen. In vielen Fällen wurde der Schußwaffeneinsatz generell untersagt und die Waffen weggeschlossen. So geschehen in einer Dienststelle der Transportpolizei Leipzig. Die Aufrührer überwältigten daraufhin die Polizisten und entwendeten die Waffen. Auch in der Haftanstalt Bitterfeld lies man lieber die Gefangenenbefreiung zu, als die Schußwaffe anzuwenden. Da der Chef der Bezirksbehörde Magdeburg den Schußwaffeneinsatz vollständig verboten hatte, konnten die die Haftanstalt Sudenburg erstürmen, die Waffen erbeuten und zwei Polizisten sowie einen MfS-Angehörigen töten.
Zur Ehrenrettung der Arbeiter muß gesagt werden, daß - m.E. in Anbetracht der gewalttätigen Entwicklung und der Stoßrichtung des Aufstandens - "allerdings eine ganze Reihe von Fällen nachweisbar [sind; Veith], wo die Arbeiter ... ihren Ausstand freiwillig beendeten" („
Die getarnte Armee“ S. 329)
Der Einsatz von Panzern
Am 17. Juni 1953 wurde in Berlin um 7.00 Uhr der Ausnahmezustand verkündet. Bereits seit sechs Uhr hielten "sowjetische Truppen alle wichtigen Einrichtungen besetzt. Postämter, Brücken und Bahnhöfe" (aus: "
Die unsichtbare Front"). Um 12.30 Uhr erhielten sowjetische Truppen den Befehl, die Ordnung wieder herzustellen. Die sowjetischen Panzer wurden erstmalig geg. 13.00 Uhr gesichtet. Übrigens, "
Artillerie oder Panzerkanonen wurden jedoch nicht eingesetzt" ("
Die getarnte Armee" S. 331).
Aber auch die US-Amerikaner beschränkten sich nicht nur darauf, bis zum Auftauchen der sowjetischen Panzer, die Demonstrationszüge mit Jeeps zu begleiten (und damit zu ermuntern), sondern hatte auch "Panzer für alle Fälle an Südwestgrenze amerikanischen Sektors aufgefahren. Direktor HICOG [United States High Commission(er) for Occupied Germany] mitteilte mir 15 Uhr, Kommandanten hätten beschlossen, unter allen Umständen Westsektoren aus den Ereignissen herauszuhalten, friedliche Demonstranten nicht zu stören, aber West-Berliner Polizei einzusetzen, sobald Ordnung gefährdende Zusammenrottungen oder Demonstrationszüge" (
17juni53.de; PDF). Ebenfalls rollten an der Staatsgrenze der BRD zur DDR in Hessen und Bayern zu diesem Zeitpunkt US-Panzer. Nahe Potsdamer Platz standen ebenfalls welche. Problematisch war, daß der Grenzverlauf nur durch Schilder sichtbar war, so waren auch 1x sowj. Panzer versehendlich ca. 150m in den französischen Sektor gefahren (vgl.:
gegenstandpunkt.com und
Walter Ulbricht).
Einsatz der VP / KVP
Richtig ist, daß die DDR mehrfach in
Karlshorst nachgefragt hatte, ob sie ihre eigenen Bewaffneten Organe (
Polizei,
KVP) einsetzen dürfe, schließlich war sie - wie auch die BRD - von einer Souveränität in Sicherheitsfragen noch weit entfernt. Die Fragen wurden entweder mit "Nein" oder überhaupt nicht beantwortet. Daraufhin wurden "führende Genossen" zu einen Gespräch nach Karlshorst einbestellt. Leider stand wohl das Ergebnis bereits vorher fest: Einsatz der sowjetischen Kräfte.
Die Volkspolizei / KVP beschränkte sich auf Objektschutz. "Der überwiegende Teil der KVP-Angehörigen handelte am 17. Juni und in den Folgetagen in der festen Überzeugung, den oft beschworenen 'Tag X' zu verhindern sowie den 'DDR-Staat und den Frieden' zu schützen" ("
Die getarnte Armee" S. 348)
Warum handelte die Sowjetunion selbst?
Nach meiner Auffassung handelten die Sowjetunion aus zwei Gründen selbst: Zum einen hatte sie - erst 8 Jahre nach dem blutig erkauften Sieg - ein tiefes Mißtrauen gegen alle Deutschen (die paar Kommunisten die die Faschisten übriggelassen hatten konnten das nicht reißen) und zum anderen wollte sie den Westmächten (schließlich war das keine isolierte DDR- / BRD-Operation) signalisieren, daß sie der Boß in Ostdeutschland ist (wie die Westmächte in der BRD) und wer sich mit der DDR anlegt, legt sich mit ihr an!
Das sie es sich nicht leicht gemacht und das "ok" von höchster Stelle kam, zeigt der relativ lange Zeitraum bis zum Einsatz. Die UdSSR demonstrierte, daß sie bereit war, "nur wegen der DDR" einen Krieg zu riskieren. Das demonstierte sie nochmals
1961. Ab
1969 erodierte diese Entschlossenheit ....
Wie konnte es zu den Unruhen kommen?
Die
Ursache war m.E. eindeutig die schlechte ökonomische Lage, nicht zuletzt durch das faktisch alleinige Zahlen der deutschen
Reparationen an die Sowjetunion. Der
Anlaß waren die gerechtfertigten Normerhöhungen, die insbesondere die "Arbeiter der Stalinallee" um saftige und vergleichsweise ungerechtfertigte Zulagen brachten. Die Normen waren vorher mangels Grundlage oft "frei geschätzt" und damit zu niedrig gewesen.
Katalysator waren- inzwischen weitgehend unstrittig - Geheimdienste (einschließlich SPD-Ostbüro) und
RIAS.
Egon Bahr dazu: "Der RIAS war, ..., zum Katalysator des Aufstandes geworden. Ohne den RIAS hätte es den Aufstand so nicht gegeben" (zitiert nach: "
Im Visier die DDR")
»Trotz Verkündung des so genannten „Neuen Kurses“ der SED am 17. Juni, der die Rücknahme zahlreicher stalinistischer Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber dem Mittelstand beinhaltete, hielt Ulbricht an der zehnprozentigen Normerhöhung vom 28. Mai 1953 starrsinnig fest. Den „Neuen Kurs“ bewerteten viele Menschen in der DDR als Eingeständnis von Fehlern seitens der Regierung und damit als Chance, mit Arbeitsniederlegungen, Streiks und Demonstrationen die Rücknahme der Normerhöhung durchzusetzen.« (Rede von Sylvia Bretschneider, Präsidentin des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, zur Gedenkveranstaltung des Landtages anlässlich des 50. Jahrestages des 17. Juni 1953, Schwerin, 17. Juni 2003).
Die Normen waren in den ersten Jahren freihändig festgelegt worden und man kann sie nur als unrealistisch bezeichnen. Es war den Bauarbeitern an der Stalinallee problemlos möglich, sie überzuerfüllen und jede Übererfüllung brachte satte Zulagen. Dies stand im eklatanten Gegensatz zu anderen Berufsgruppen, wo die Normen kaum zu erreichen waren und Zulagen in weiter Ferne lagen. Die Bauarbeiter auf Musterbaustellen mit guter Versorgung an Arbeitsmaterial waren also in außergewöhnlichem Maße privilegiert. Im Juni 1953 wurden jetzt die ersten Vorlagen für Normen auf fachlicher Basis ermittelt. Das Modell sah so aus, dass die Grundnormen um rund 10% erhöht und die Zulagen für Übererfüllung weitgehend gestrichen bzw. gedeckelt werden sollten. "Wie die technisch begründete Arbeitsnorm zustande kommt":
17juni53.de. Noch ein Zitat dazu: "... die Normen als Leistungsvorgabe tatsächlich zu niedrig lagen und zu 175 bis 200 % erfüllt wurden .... Deshalb widersetzten sich die Arbeiter den zunächst auf freiwilliger Basis eingeforderten Normenerhöhungen, die für sie Lohnsenkungen bedeuteten." (aus:
17juni53.de; PDF) Noch einmal: Die beschlossene Normerhöhung betrug „lediglich“ 10%!
Damit war die Nichtrücknahme - wenn man schon klein beigibt - dieser Normen "bloß" ein politischer / taktischer Fehler, aber sachlich gerechtfertigt ... Bitter für die ökonomische Lage - 3,5 Jahre nach Republikgründung - war, daß alles auf einmal wichtig war:
* Stemmen der Besatzungskosten
* fast alleinige Zahlung der deutschen Reparationen
* Aufbau der Sicherheitskräfte
* Schaffung einer Schwerindustrie
und einen Weltkriegssieger an der Seite, der selbst - nach den gewaltigen Zerstörungen und Opfern im 2. Weltkrieg - ökonomisch am Boden lag.
"Als die Arbeiter im Juni feststellen mußten, wie sie sich auf ihre Löhne auswirkte, schlug stellenweise Mißstimmung in Protest um" (
jw).
Einzelfälle /-aspekte
*
Otto Nuschke
Am 17. Juni 1953, geg. 16.00 Uhr wird an der Freiarchenbrücke in Ost-Berlin Otto Nuschke, der Stellvertretende Ministerpräsident der DDR, in seinem Auto erkannt. Aufständische zerren den Chauffeur dieses "Konvois" aus dem Auto und schlagen ihm mit einer Eisenstange auf den Kopf. Die Zündschlüssel werden abgezogen. Nuschke wird ebenfalls aus dem Wagen gezerrt und geschlagen. Dann wird er über die
Sektorengrenze gebracht und der West-Berliner
Stumm - Polizei übergeben, die ihn in "
Schutzhaft" nimmt. Der Chauffeur überlebt schwerverletzt (s.a.:
hdg.de).
Heutzutage kann man das dann auch so lesen: "Während es sich die amerikanische Besatzungsmacht nicht entgehen ließ, den in ihrem Sektor um Polizeischutz bittenden Stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten Nuschke zu verhören und (erfolglos) zu einem propagandaträchtigen Übertritt in den Westen zu überreden, ..." (aus der ansonsten guten Arbeit auf:
gwdg.de).
*
18 tote Russen
Eine Legende des 17. Juni besagt, daß 18 Sowjetsoldaten sich geweigert hätten "aufs Volk" zu schießen und wären deshalb exekutiert worden. Davon wird erstmals von Joachim G. Leithäuser in "Der Aufstand im Juni. Ein dokumentarischer Bericht." in Der Monat
[Fn], Heft 5/1953, S. 55, als angeblicher Bericht eines geflüchteten sowjetischen Majors, erzählt. Sie wird noch vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt 1998 durch "
Im Dienste der Partei - Handbuch der bewaffneten Organe der DDR" von Kurt Arlt auf S. 603 (neutralisiert) verbreitet. Da 18 (angeblich) tote Sowjetsoldaten nicht genug waren, mutierten sie im Laufe der Zeit zu 41. Die Zahl wurde deshalb gewählt, weil besagter Überläufer zumindest von 41 Verhaftungen sprach ....
Es war allerdings lediglich eine Propaganda-LÜGE des Kalten Krieges, es ist heute gesichterte Erkenntnis, daß es keine diesbezüglichen Befehlsverweigerungen und standrechtlichen Erschießungen in den sowj. Streitkräften gab. Da diese "Aufklärungsarbeit" seit 2001 offenbar nur in Fußnoten erfolgt (vgl. "
Die getarnte Armee", Fn. 422 auf S. 339), haben die Vertreter des Berliner Senats öfters Kränze für imaginäre Tote niedergelegt. »An diesem Gedenkstein werden sich am Vorabend des 17. Juni die ranghöchsten Vertreter des wiedervereinigten Berlin zu einem Totengedenken und zur Kranzniederlegung versammeln. Heute um 17.05 Uhr spricht zuerst 15 Minuten lang der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), dann Christoph Stölzl (CDU), Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, danach Vertreter der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, der Bau-Gewerkschaft und der evangelischen Kirche. Sie gedenken nicht nur der deutschen "Opfer und unerschrockenen Kämpfer für Menschenrecht, Menschenwürde für Wahrheit und Freiheit des 17 Juni 1953" - wie es auf der dem Stein gegenüberliegenden Tafel heißt - sondern wie seit Jahrzehnten auch der russischen "Helden der Menschlichkeit", die ihr Leben verloren, weil sie deutsche Freiheitskämpfer retteten. Nur leider: Diese toten Russen hat es nie gegeben. Sie haben nie gelebt - und konnten schon deshalb nie erschossen werden. Sie sind Phantome des Kalten Krieges« (nach:
spiegel.de vom16.06.2003).
[FN] "Der Monat" wurde von Melvin Lasky, der als US-Kulturoffizier nach Berlin gekommen war, im Zusammenhang mit der Berlin-Blockade 1948 gegründet. Die Zeitung empfand sich als kulturell-intellektuell und stramm antisowjetisch (~kommunistisch). Sie wurde offiziell von der Militärregierung, ab 1954 von der Ford-Stiftung und dem "Kongreß für kulturelle Freiheit" finanziert. Die Auflagewurde mit 30.000 Exemplaren angegeben. 1967 wurde offenbar, das die Zeitschrift tatsächlich von der CIA finanziert worden war, vgl. uni-giessen.de (PDF; offline) Fn. 43 (S.48). 1971 stellte die Zeitschrift ihr Erscheinen ein. In fast jeder westlichen Studie über den Kalten Krieg wird sie als Quelle verwendet.
*
Ernst Busch und Hans Eisler
Eine nette Story ist, wie Ernst Busch und Hans Eisler am 17. Juni 1953 die ganze Zeit mit einem Packen Kampflieder-LPs "untern Arm" wartete, um die im Rundfunk abzuspielen und zu sprechen. Statt dessen liefen seichte Schlager und Volkslieder ....
Sprachregelungen
Die "Sprache" ist ein Herrschaftssymbol. Wer sich ihrer Sprache unterwirft, unterwirft sich der Herrschaft. Ergo gibt es auch zu den Ereignisse des "17. Juni" eigene Sprachregelungen:
* "faschistischer Putschversuch"
Anfangs wurden die Ereignisse am 17. Juni in der DDR offiziell als "faschistischer Putschversuch" bezeichnet. Mich hat die häufige Verwendung von "faschistisch" in den 50ern generell gewundert, wobei mir der "17. Juni" selbst nur als "konterrevolutionärer Putschversuch" geläufig war, das mit dem "faschistischen ..." war deutlich früher.
Nun liegt es nahe, den Feind als das schlimmste was man kennt zu bezeichnen (Reich / Achse des Bösen aka Teufels), das erklärt die damals inflationäre Bezeichnung "faschistisch" nicht völlig. Irgendwo habe ich nun eine naheliegend und m.E. zutreffende ERKLÄRUNG gefunden: Für die Sowjetbürger waren damals schlicht im allgemeinen Sprachgebrauch alle Deutschen "Faschisten", was man ihnen angesichts der Opfer nicht verdenken kann. Damit hieß es am "17. Juni" auch "die Deutschen putschen" => "deutscher^^^^faschistischer Putschversuch". Und da von den Verantwortlichen in der DDR niemand korrigieren / widersprechen wollte / konnte, hieß es halt "faschistischer ..."
* "Volksaufstand"
Aus der BRD kennen wir die Sprachregelung: "Volksaufstand". Nun, wer waren die Akteure? Klar, Arbeiter (Normen!), Studenten, Angestellte und Provokateure. Was fehlte? Klar, Bauern. Die waren zwar auch "unruhig", hatten jedoch gerade erst Land im Rahmen der
demokratischen Bodenreform (die im Westen verhindert wurde) bekommen und wußten noch, wem sie es zu verdanken hatten. Die Kollektivierung (Abschluß 1960) war noch nicht so ernst.
Darum auch die krampfhaften Bemühungen der letzten Jahre die Bauern dazu zu schmuggeln um daraus einen "Volksaufstand" und letztlich "1989" die Vollendung des "17. Juni" zu machen. Und was fehlte wiederum 1989, bis die Messen gesungen waren? Klar, Arbeiter und Bauern, die saßen nämlich vorm Fernseher, um zu sehen wer gewinnt.
Was waren die juristischen Folgen?
Im Nachklang wurden durch sowjetischen Militärtribunale 6 Personen standrechtlich erschossen und durch die DDR 2 Todesurteile vollstreckt sowie 3 Personen zu "Lebenslänglich" verurteilt.
Einer der beiden durch das sowjetischen Militärtribunal verurteilten und hingerichteten Aktivisten der Erstürmung des Magdeburger Gefängnisses Sudenburg (s.o.; drei Tote bei VP und MfS) war
Herbert Stauch (vgl.:
17juni53.de). Leider steht auf der verlinkten Seite nichts von der Erstürmung, Gefangenenbefreiung und Schußwaffengebrauch durch die Aufrührer sondern nur die netten Worte: "Einige Demonstranten stürmen das VP-Gebäude, werfen Akten und Propagandaschriften auf die Straße. Andere versammeln sich, um eine Abordnung zu wählen, die dem VP-Bezirkschef ihre politischen Forderungen vortragen soll." Zum Glück ist das Verhandlungsprotokoll - leider nur in Auszügen - z.Z. online:
17juni53.de. Daraus geht eindeutig hervor, das er unstrittig ein, wenn nicht "der", Rädelsführer der Menge vor dem Gefängnis und daß die Gefangenenbefreiung aus staatsfeindlichen Gründen sein Ziel war. "
Wenn der Polizeipräsident die Inhaftierten nicht freiließe, werden sie selbst die Häftlinge befreien, weil Ihr sowieso nicht lange hier bleibt." Die Aussage wurde von Strauch als richtig bestätigt. Im Ergebnis hat das Gericht des TT 92401 Strauch als Rädelsführer gem. Art. 58-2 StGB RSFSR am 18.06.1953 zum Tode verurteilt und erschießen lassen.
»1996 wird er durch die russische Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. In der Begründung heißt es: "Aus den Unterlagen hinsichtlich dieses Falles wird deutlich, dass Stauch am 17. Juni 1953 in Magdeburg an den Massenaufständen der deutschen Bevölkerung gegen die Staatsmacht und Verwaltungsorgane der DDR mit politischen und ökonomischen Forderungen teilnahm. Vom stellvertretenden Polizeipräsidenten forderte er als vom Volk gewählter Delegierter die Freilassung der aus politischen und ökonomischen Gründen Inhaftierten, die Gewährung politischer und ökonomischer Freiheiten für das Volk sowie die Ablösung der DDR-Regierung. Beweise hinsichtlich bewaffneten Widerstandes oder andere verbrecherische Handlungen zum Schaden der UdSSR oder ihrer Bürger durch Stauch liegen nicht vor. Deshalb wurde er unbegründet aufgrund politischer Motive verurteilt, wobei das StGB und die Gerichtsverfahrensrichtlinien verletzt wurden"« (
17juni53.de).
Ich habe leider den Wortlaut des Art. 58 - 2 StGB der RSFSR nicht gefunden, es muß sich jedoch um "bewaffneten Aufstand bzw. Eindringen in sowjetisches Hoheitsgebiet mit konterrevolutionären Zielen" gehandelt haben. Basis für die Rehabilitierung wird das Gesetz "Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen" vom 18. Oktober 1991 gewesen sein. Das Gesetz findet seit Ende 1992 auch auf ausländische Staatsangehörige Anwendung, "die aufgrund eines Urteils bzw. einer Entscheidung von Gerichten der UdSSR bzw. außergerichtlicher Organe außerhalb der UdSSR aufgrund einer Anklage wegen Handlungen gegen Staatsangehörige der UdSSR und Interessen der UdSSR repressiert wurden". Das Gesetz schreibt die Rehabilitierung von "Personen, die aus politischen Gründen" verurteilt wurden, vor. Es schließt jedoch diejenigen, die "begründet" u.a. wegen "Bildung von Banden, die Morde, Plünderungen und andere Gewalttaten", sowie "persönliche Beteiligung an derartigen Handlungen innerhalb von Banden" bestraft wurden, von einer Rehabilitierung aus.
Hinweis
Ich habe eine Begrifflichkeit anders als in der „getarnten Armee" verwendet, da offenbar unstrittig im Fall "Sudenburg" 3 Angehörige der Bewaffneten Organe der DDR tot waren, aber keiner der Täter. Das war mir jetzt juristisch zu heikel, den gleichen Begriff wie im Buch zu verwenden.
Von den 6 standrechtlich Erschossenen, sollen - nach älterer westdeutscher Literatur - leider auch
3 Angehörige der Bewaffneten Organie der DDR gewesen sein. Am 18. Juni 1953 verurteilte demnach ein sowjetisches Standgericht in Stralsund die Angehörigen der VP - See Ernst Markgraff und Hans Wojkowsky wegen aktiver Unterstützung der Aufständischen zum Tode durch Erschießen. Ein sowjetisches Standgericht in Gotha verurteilte am 22. Juni 1953 den KVP-Angehörigen Günter Schwarzer wegen Beteiligung am Aufstand ebenfalls zum Tode. Die nun offene Archive bestätigten diese Behauptungen jedoch nicht, vgl. "
Staatsfeinde in Uniform?", S. 78.
Nach einem Bericht der Staatssicherheit nahmen bis zum 7. Juli 1953 das MfS 4.816 Personen (davon 226 aus Westberlin und 2 aus der BRD) und die Volkspolizei 4.311 Personen fest. Davon übergaben beide Dienststellen 2.573 Personen den Gerichten, 5.671 wurden entlassen (davon 144 Westberliner) und 446 (davon 21 Westberliner) hatten einen "sonstigen Abgang". Beim MfS verblieben noch 311 Personen (davon 61 Westberlin und 2 aus der BRD) und bei der Volkspolizei 126 (aus: "
Erich Mielke"; welches sich hauptsächlich auf
BStU Unterlagen bezieht).
Insgesamt soll es 1.240 Verurteilungen der 9.127 Verhafteten gegeben haben.
Einer von den zwei, durch ein DDR-Gericht wegen "Boykotthetze in Tateinheit mit vorsätzlichen Mord" zum Tode verurteilten und hingerichten, war
Ernst Jennrich. Er war im Gefängniskomplex, hatte eine Waffe "erbeutet" und unstrittig damit geschossen. Nach Auffassung des Gerichts war er Mörder des VP-Angehörigen Gaidzik. Am 20. August 1991 wird er posthum freigesprochen und rehabilitiert. "Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen gegen die damaligen Richter auf, doch die sind verstorben. Die Stadt benennt den Platz am Gefängnis nach dem 17. Juni und hängt eine Gedenktafel auf. Symbolische Akte. Eine finanzielle Entschädigung gibt es zunächst nicht. Mittlerweile fließt eine kleine jährliche Zuwendung." (
Die Welt, 14.06.2003).
Einer der Verhafteten und wieder freigelassenen war
Siegfried Berger. In seinem Buch "Siegfried Berger: 'Ich nehme das Urteil nicht an' - Ein Berliner Streikführer des 17. Juni vor dem Sowjetischen Militärtribunal" schildert dieser sehr freimütig seine Agententätigkeit für das SPD-Ostbüro (u.a. Transport von Funkgeräten zur Militärspionage) sowie, daß er sich am 17. Juni sofort an die Spitze im Radiowerk Köpenick gestellt und weiter in Kontakt mit dem Ostbüro war (
berlin.de; neu: Ausgabe 2007; PDF). Jener Berger wurde so nebenbei noch bei meinem letzten Besuch im Potsdamer "
KGB-Gefängis" (etwa 2004) als unschuldiges Opfer gefeiert und die Agententätigkeit nicht erwähnt.
»Jahre nach dem Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 können die Angehörigen von Opfern
finanzielle Hilfe beanspruchen. Am Jahrestag der Erhebung gegen das SED-Regime beschloss der Bundestag gestern einstimmig eine Ergänzung des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes für Opfer der DDR-Justiz. Auf Grund dieses Gesetzes können Ehegatten, Kinder und Eltern von Personen, die beim Volksaufstand gestorben sind, von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge finanzielle Unterstützung erhalten. Die Bundesregierung und das Land Berlin erinnerten gestern zugleich mit einer Kranzniederlegung an den Volksaufstand. Andere Opfer des SED-Regimes wie zu Unrecht Inhaftierte werden bereits seit 1992 nach dem strafrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierungsgesetz entschädigt« (aus:
taz). Warum befürchte ich, daß die Angehörigen der getöteten VP-Angehörigen oder anderer staatlicher Organe leer ausgehen / gingen? Die Antragsfrist wurde jedoch mehrfach – m.W. zuletzt bis zum 31.12.2007 - verlängert. Da müssen sich doch noch mehr Antragsteller als die bisher 170.000 finden!
Weitere Literatur zum Thema "17. Juni 1953"
- Heft 80 Wie kam es zum 17. Juni 1953? Vortragsreihe (I),
- Heft 81 Wie kam es zum 17. Juni 1953? Vortragsreihe (II), Siegfried Prokop: Der 17. Juni 1953. Geschichtsmythen und historischer Prozess
EDIT (17.06.2008)
Manchmal macht es sich bezahlt, S-Bahn zu fahren. Zufallsfund "PNN", S. 15 (das Gleiche im "Tagesspiegel"): "Eine Heldentat, die es nicht gab". Nunmehr wird der "18-tote-Russen-Fake" auch in der Tagespresse erwähnt. Allerdings ohne CIA-Hintergrund, als wenn nicht gerade die "NTS" über starke "Kontakte" verfügt hätte. Ebenfalls hübsch: "... in Ermangelung eines würdigen Gedenkortes wird auch heute die Potsdamer Chaussee wieder kurz gesperrt werden, damit die Gedenk-Delegation des Bezirks den Mittelstreifen erreicht."
Interessant auch die folgende Passage aus dem Hauptartikel dieser Seite: `"Der Augenzeuge erzählte später ... Vopos hätten auf der Chausseestraße mit vorgehaltener Pistole versucht, vom Westsektor aus vordrängende Menschen zurückzudrängen und schließlich in die Luft geschossen"´ (Hervorhebung von mir). Solche "Einflüsse" werden nach meiner Beobachtung heute eher unterschlagen.