Vorbemerkung:
Wir hatten
bereits berichtet, dass in Vorbereitung des Buches "43.Fla-Raketenbrigade
'Erich Weinert'-Fakten und Geschichten" uns eine Vielzahl von
Erlebnisberichten erreichten, die letzlich den Rahmen des vorgesehenen
Umfangs sprengten. Es war daher nicht möglich, alle Beiträge in das Manuskript
aufzunehmen-wir hätten zwei Bücher daraus machen können! Es wäre schade, auf
diese interessanten Erlebnisse und Erfahrungen zu verzichten. Sind sie doch ein
Teil menschlicher Biographien und Beschreibung von Zeitgeschichte. Deshalb
haben wir uns entschlossen, diese unveröffentlichten Beiträge auf die Seite
SANITZ als Thema ERLEBNISBERICHTE-FOLGEN
zu stellen und zusätzlich in einer DVD "Aus der
Geschichte der 43.FRBr" zu erfassen.
Die DVD wird zur Eröffnung der Ausstellung "50 Jahre Garnisonsort
Sanitz" am 01. September 2012 angeboten und auch danach bestellbar
sein. Den Anfang der Erinnerungsberichte macht heute Dieter Bertuch über seine
Erlebnisse an der Wiege der Fla-Raketentruppen der NVA-in Ulan-Ude am Baikalsee
(Teil I):
"Als einer der Pioniere einer
neuen Waffengattung der Luftverteidigung im fernen Sibirien ...
Fast neunundvierzig Jahre sind vergangen, als ich
meine erste größere und verantwortungsvolle Aufgabe übertragen bekam und diese
erfüllen konnte. Es bewegt mich noch heute mit Stolz, der erste Kompaniechef
einer Offiziersschülerkompanie gewesen zu sein und mitgeholfen zu haben, dass
diese Offiziersschüler des 3. Lehrjahres der Flakartillerieschule Potsdam-
Geltow und Unteroffiziere aus der Truppe als die ersten Unterleutnants für die
aufzustellenden Truppenteile und Einheiten der neu zu bildenden Fla- Raketeneinheiten
der Luftverteidigung im Lehr- und Ausbildungsregiment 12 in Pinnow bei
Angermünde ernannt werden konnten. Zum 12. Jahrestag der Gründung der Deutschen
Demokratischen Republik fand dieses feierliche Zeremoniell am Ausbildungsort
statt. Unsere gemeinsamen Anstrengungen, meine eigene Arbeit und die meiner
Unterstellten, wurden dabei gewürdigt. Aber ich musste auch an meine eigene
weitere Qualifizierung denken, denn ich fühlte selbst, wie viel mir noch Können
und Erfahrung in einer Offiziersdienststellung fehlten. Beim festlichen
Mittagessen mit der Führung des Regimentes fragte mich der Kommandeur des
Lehr-und Ausbildungsregiments 12, Major Heinz Trautsch, wie es mir und meiner
kleinen Familie gehe. Er kannte meine Unzufriedenheit und teilte mir zwei Varianten
der eigenen Qualifizierungsmöglichkeit mit. Die eine Variante wäre, dass ich an
der speziellen militärischen Sektion der Ingenieurschule der Deutschen Post in
Leipzig ein dreijähriges Studium mit dem Ziel der Ausbildung als
Hochfrequenzingenieur aufnehmen könnte. Die zweite Variante bestände in einer Kommandierung für einen neunmonatigen
Ausbildungskurs in die UdSSR nach Ulan-Ude. In die Hauptstadt der Burjatischen
Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, hinter dem Baikalsee, Sibirien. Er
würde mich gerne dafür vorschlagen und riet zur Zusage. Gründlicher könnte ich
nirgendwo anders für die neue Waffengattung ausgebildet und für den weiteren
persönlichen Werdegang vorbereitet werden. Er kannte den Ausbildungsort und das
Ausbildungsprogramm bereits aus eigenem Erleben.
Für
mich als junger Offizier spielte dieser Ratschlag des erfahrenen Kommandeurs
eine große Rolle. Aber auch eine gehörige Portion an Neugier und Abenteuerlust
sowie der stolze Gedanke, zu den wenigen Offizieren zu gehören, die im großen
Land lernen durften, führten zu meiner baldigen Zusage. Trotz Familie mit
Kleinkind waren ich und auch meine Frau bereit, diese lange Trennung auf uns zu
nehmen. Urlaub sollte es in diesen neun Monaten nicht geben. Ulan- Ude war von
der Heimat immerhin rund achttausend Kilometer entfernt. Familiäres zählte in
der damaligen Zeit nur wenig. Der „militärische Klassenauftrag" wurde über
alles gestellt. Ein intensiver Vorbereitungslehrgang fand an einer altbekannten
Einrichtung in Potsdam- Geltow statt, der Flakartillerieschule. Wir erhielten
nochmals eine fast vierteljährliche Grundlagenausbildung sowie intensiven
Sprachunterricht. Russisch fiel mir nicht schwer. Bereits damals entwickelte
ich eine gute Begabung und Sprachtalent.
Nach dem Festtagsurlaub zu Weihnachten und über den
Jahreswechsel 1961/1962 ...
wurden wir
über dreißig Offiziere, vom Major bis zum Unterleutnant, für Reise, Aufenthalt
und Studium belehrt und eingekleidet. Je näher der befohlene Abreisetermin
rückte, umso beklommener wurde die Stimmung. Aber, die Aufgabe war gestellt und
die Entscheidung war getroffen. Anfang Januar 1962 begann die Reise. Mit dem
Zug Berlin- Moskau trafen wir in der sowjetischen Hauptstadt ein, um nach
wenigen Stunden auf dem Jaroslawler Bahnhof einen Schlafwagen der
Transsibirischen Eisenbahn zu besteigen. Die Route nach Ulan- Ude führte durch
solche gewaltigen Städte wie Orenburg, Kasan, Swerdlowsk, Krasnojarsk,
Nowosibirsk, Tscheljabinsk, Magnitogorsk, Irkutsk und dann am Ufer des
Baikalsees entlang. Nach gut fünf Tagen erreichten wir den Zielbahnhof in Ulan-
Ude. Damals war die Transsibirische Eisenbahn noch dampfbetrieben. Im
Schlafwagen aus der Ammendorfer Waggonfabrik „lebten“ wir zu sechst. Die damals
„niedrigen Dienstgrade" Waldner, Giese, Just, Harkner, Metzner, Bertuch,
Krolop, Wolny, Baumunk, Jonzeck und weitere hatten untereinander die besten und
kameradschaftlichsten Kontakte, auch weil deren Ausbildungsprofile gleich bzw.
ähnlich gelagert waren. Die sehr interessante Fahrt reicherten wir zusätzlich
neben Essen und Teetrinken vor allem mit Canastaspielen und ab und zu mit einem
Gang in das Waggon- Restaurant zum Portwein und anderen höherprozentigen
Getränken an.
Die Fahrt
zog sich hin, ging stetig weiter nach Osten. Im europäischen Teil, vor Moskau,
erinnerten mich die zu durchfahrende Städte und Ortschaften oft an Vaters
Kriegserzählungen. Hier war er am unsinnigen und verbrecherischen Krieg
Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion beteiligt gewesen. Viele Gedanken
gingen mir dann durch den Kopf. Ich fuhr jetzt also rund siebzehn Jahre nach
dem Ende des II. Weltkrieges hier entlang, durch die riesigen Weiten und dann
im Schlafwagen! Im europäischen Teil der UdSSR hielt die Transsib etwa alle
drei bis fünf Stunden, auf jeder Station mindest zwanzig Minuten. Mein Ziel war
es stets auszusteigen, zu versuchen eine Ansichtskarte zu kaufen, sie zu
frankieren und der Post anzuvertrauen. Das gelang fast hunderprozentig. Die
Karten kamen tatsächlich Tage später zu Hause in Thüringen an.
Hinter
Moskau dann wurde die Fahrtdauer zwischen den Bahnhöfen mit Halt immer länger.
Die großen zu überquerenden Flüsse, die Silhouetten der gewaltigen
Industriestädte, aber auch die zu erblickenden ärmlichen und verfallenden Katen
in Dörfern, das sich ständig verschärfende Frostwetter, all das waren
unvergessliche Eindrücke. Als wir den Ural und damit die Grenze zwischen Europa
und Asien überfuhren, waren wir alle wie auf Kommando sehr ruhig und irgendwie
bedrückt. Ein eigenartiges Gefühl war es, schwer zu beschreiben. In Asien herrschte
bereits strenger Winter. In einem Ort mit dem Namen „Sima“, nomen est omen, auf
Deutsch Winter, erwarteten mich beim Aussteigen und dem geplantem Kartenkauf
Temperaturen von über minus 41 Grad. Trotz der Warnung der „Provodniza“, der
Waggonbegleiterin, nicht auszusteigen, tat ich das. Meine Hand blieb am
frostigen Einstieggriff des Waggons für einen Moment kleben. Nur im
Trainingsanzug hüpfte ich unter dem Gelächter der Begleiterin und der Kumpels
schnell zurück in den gemütlich warmen Waggon ..." - Fortsetzung
folgt!
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