Der Fahneneid der NVA war durch das Parlament gesetzlich normiert und wurde auf die sozialistische "Deutsche Demokratische Republik" und ihre "Arbeiter-und-Bauern-Regierung" geleistet. Im Eid wurde konkret der Eidnehmer benannt, ebenso der Befehlsgeber und die Koalitionsstreitkräfte, sowie soldatischen Tugenden gefordert. Etwas unüblich und an dem sowjetischen Vorbild entlehnt war ab 1962 die Länge des Schwurtextes und die "Selbstverfluchung" am Schluß, aber wem ein Gottesbezug besser gefällt ... Der Wegfall des Eidnehmers führt nicht zum automatischen Erlöschen eines Eides. Per Gesetz wurden die Angehörigen der NVA von ihrem Eid nicht entbunden. Minister Eppelmann war sich dessen sehr wohl bewußt und versuchte dieses Dilemma mit einem Federstrich zu lösen, in dem er den Eid einfach für "rechtsunwirksam" und die Eidgeber für "entbunden" erklärte, vgl.: http://home.snafu.de/veith/eide.htm
Das Dilemma wurde durchaus auch von Sven Lange in seiner an der Universität der Bundeswehr geleisteten Dissertation "Der Fahneneid" erkannt und aufgegriffen. Für NVA-Angehörige - mit wenigen Ausnahmen - ist das Eides-Dilemma allerdings ein eher moralisches Problem. Vorsorglich: Ja, Vergleichbares galt formal für den Eid auf den Deutschen Kaiser ebenso wie für den Eid auf den "Führer".
So entließ der Kaiser - spät aber formal korrekt - mit seiner Abdankung am 28.11.1918 die Soldaten und Beamten "des Deutschen Reiches und Preußens" aus ihrem Treueid gegenüber dem Kaiser. Er drückte dennoch seine Erwartung aus, daß sie weiterhin mithelfen, das Deutsche Volk zu schützen. Bereits am 09.11.1918 hatte allerdings die oberste Heeresleitung dem Kaiser gemeldet, daß es die Fortsetzung der Kampfhandlungen für aussichtslos hielte. Dabei äußerte sich der 1. Generalquartiermeister Groener dahingehend, daß in Zeiten revolutionärer Gärung Begriffe wie "Fahneneid" wirkungslos und zur Fiktion würden. Diese Aussage wurde im nachhinein verfälscht und brachte ihn Ende 1919 vor ein militärisches Ehrengericht, welches ihn zumindest teilweise entlastete. Allerdings gab es 1918 keine separate Entbindung vom eigentlichen Fahneneid, da die deutschen Soldaten bis kurz vor Kriegsende diesen dem jeweiligen Landesfürsten leisteten. Dem Kaiser galt das Treuegelübte als obersten Kriegsherren. Von diesem wurden sie explizit am 28.11.1918 entbunden. Beim "Führer" gibt es allerdings noch "Radbruch", aber dazu ein anderes Mal.
Aber, wie hätte das "Eides-Dilemma" in der gegebenen Situatuion formal gelöst werden sollen? Ich sehe folgende Varianten:
a) Die am 18. März 1990 gewählte Volkskammer beschließt am 26. April 1990 wie gehabt ein neues Wehrdienstgesetz, in der die Eidesformel für die Übergangszeit neu formuliert wird. In einem vorangestellten Abschnitt des betreffenden Paragraphen werden die NVA-Angehörigen jedoch von ihrem alten Eid und dessen Verpflichtungen entbunden. Die Äußerungen des mit der Umsetzung beauftragten Ministers Eppelmann zum alten Eid, wie "rechtsunwirksam", "entbunden" dienen der Erläuterung und dem Verständnis der Armeeangehörigen.
Im Herbst beschließt die Volkskammer ein Gesetz, in dem sie zum 02.10.1990, 24.00 Uhr alle Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR und insbesondere der NVA auch von diesem Übergangseid entbindet, dennoch ihrer Hoffnung Ausdruck gibt, daß alle gemeinsam im nun vereinigten Vaterland ...
b) Die am 18. März 1990 gewählte Volkskammer beschließt am 26. April 1990 ein neues Wehrdienstgesetz, in der lediglich eine neue Eidesformel formuliert wird. Äußerungen des mit der Umsetzung beauftragten Ministers Eppelmann zum alten Eid, wie "rechtsunwirksam", "entbunden" entsprechen ggf. den Willen des Gesetzgebers, sind aber mangels Normierung reine Polemik und nichtig. Also - bis hierhin - wie gehabt, dann:
Der Bundestag der BRD entbindet alle Angehörigen der bewaffneten Organe der DDR und insbesondere der NVA von ihren Eid und Verpflichtungen, gibt dennoch ihrer Hoffnung Ausdruck, daß alle gemeinsam im nun vereinigten Vaterland ...
=> Meine rechtliche Würdigung der beiden Varianten: Nach dem sog. "Einigungsvertrag" gilt im Zweifel das für den Betroffenen günstigere Recht, mithin könnten sich alle Betroffenen darauf berufen und den Vorwurf der Ehrlosigkeit erfolgreich abwehren. Davon unabhängig, wäre m.E. die Wirksamkeit der Entpflichtung mangels Zuständigkeit fraglich. So kann weder das österreichische Parlament die Bundeswehr-Angehörigen entpflichten, noch der Bundestag die Österreicher.
Aber, wie schon geschrieben: Für NVA-Angehörige - mit wenigen Ausnahmen - ist das Eides-Dilemma ein eher moralisches Problem.
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